Herbstbringer (German Edition)
scheinbar erst in direkten Kontakt mit Blut kommen muss und in naher Zukunft nicht beabsichtige, das zu tun, habe ich keine Ahnung, wie ich mir diese Stärke vorzustellen habe.« Sie bedachte ihn mit einem forschenden Blick. »Werde ich zu einer Art Superheldin, oder was?«
»Nun, das ist ja gerade das Spannende, findest du nicht?« Sein aufmunterndes Lächeln wollte ihm nicht recht glücken. »Niemand weiß, was in dir schlummert. Manche gehen sogar so weit zu sagen, dass du unbesiegbar wirst, sobald deine Lippen mit fremdem Blut in Berührung kommen, während sich andere hartnäckig weigern, dir überhaupt irgendeine Stärke außer unglaublicher Dickköpfigkeit zuzuschreiben. Wie so oft liegt die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen.«
»Und was, wenn nicht? Was, wenn ich überhaupt keine Stärke besitze und du auf etwas baust, das gar nicht existiert?«
»Das glaube ich nicht.« Er machte eine Pause, als würde er über etwas nachdenken. Als er wieder sprach, wusste Emily sofort, dass er schon die ganze Zeit darauf hinausgewollt hatte. »Hmmm … wir könnten es natürlich herausfinden.«
Die Worte hingen in der Luft wie eine unsichtbare Wand.
»Herausfinden?« Emily wurde langsam unbehaglich zumute. »Was meinst du damit?«
»Nun, diese Idee geistert mir schon länger im Kopf herum. Fakt ist: Auch wenn du dem Ruf des Blutes auf wundersame Weise widerstehst, wird der Tag kommen, an dem du dazu nicht mehr in der Lage sein wirst. Jeder einzelne Vampir da draußen wird versuchen, diesen Prozess zu beschleunigen, indem er dich dazu bringt, Blut zu trinken.«
»Und was sollen wir dagegen tun?«, fragte Emily misstrauisch.
Elias setzte sich auf die Sofakante und verschränkte die Arme vor der Brust. Emily stand noch immer reglos im Türrahmen. »Ließe ich dich von meinem Blut trinken«, fuhr er beiläufig fort, sodass bei Emily sämtliche Alarmglocken schrillten, »wäre sichergestellt, dass dich die anderen nicht zuerst in die Finger bekommen. Denn sollte das geschehen, wird dir nur tatsächliche Unbesiegbarkeit helfen.«
Sie brauchte einige Sekunden, um das halbwegs zu verdauen. »Moment mal«, begann sie und hob abwehrend die Hände. »Du schlägst also vor, dass ich genau das tun soll, wovor du mich von Anfang an gewarnt hast?«
»Du klingst misstrauisch, und das ist gut so. Der einzige Grund, weshalb ich es dir nicht gleich bei unserem zweiten Aufeinandertreffen vorgeschlagen habe, war, dass ich dich nicht überfordern wollte. Du wärst wohl kaum begeistert gewesen, wenn ich dir gleich als Erstes vorgeschlagen hätte, deine Zähne in meinen Hals zu graben, oder?«
Er ließ ein überraschend ehrliches Lächeln aufblitzen, und für einen kurzen Moment stand sie wieder jenem Elias gegenüber, zu dem sie ursprünglich Vertrauen gefasst hatte. Außerdem musste sie ihm recht geben. Sie wäre wohl panisch in ihre Jugendherberge zurückgerannt, wenn er ihr dieses Angebot unterbreitet hätte.
War ihr übertriebenes Misstrauen am Ende unbegründet?
»Vielleicht schon, ja.« Sie spürte, wie sich ihre Anspannung ein wenig lockerte. »Aber ich dachte, es würde alle Vampire Englands wie magnetisch anziehen, wenn ich Blut trinke? Ist das nicht eine ziemlich dumme Idee? Immerhin haben wir nicht gerade eine Armee, mit der wir uns verteidigen könnten.«
»Damit hast du natürlich nicht ganz unrecht. Dennoch ist es in meinem Fall etwas anderes. Weißt du nicht mehr: Einst waren wir einander versprochen. Dieser Bund wurde niemals offiziell gelöst. Wenn du von meinem Blut trinkst, wird deine Stärke auf mich übergehen. Und das wäre in Sachen wirkungsvoller Verteidigung schon mal ein guter Anfang.«
»Ich weiß nicht.« Emily war nicht sicher, was sie von diesem Vorschlag halten sollte.
Elias hob beschwichtigend die Hände. »Ich sage ja gar nicht, dass wir diesen Schritt jetzt sofort gehen müssen. Es wäre nur gut, eine Art Notfallplan in der Hinterhand zu haben, falls wir in Schwierigkeiten geraten. Und außerdem …«
Weiter kam Elias nicht. Hinter Emily hatten Willie und Rufus im Türrahmen Stellung bezogen. Sie sahen besorgt aus.
»Meine Herren? Ich wollte nicht gestört werden.«
»Wissen wir, wissen wir«, begann Rufus, nachdem die beiden versucht hatten, den jeweils anderen zum Reden zu bringen. »Wir würden auch nicht stören, wenn wir nicht davon überzeugt wären, dass es sich hierbei um eine Angelegenheit von höchster Dringlichkeit handelt, die …«
»Spuck es schon aus!«, ging Elias schroff
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