Herbstbringer (German Edition)
halb so gesprächig wie ein Körper, nachdem ihn ein Beil von seinem geliebten Kopf getrennt hat – wenn Sie die Ausdrucksweise verzeihen, meine Liebe. Dafür ist er schnell im Denken, und ohne ihn wären die Verlorenen Jungs wohl noch verlorener.«
Willie nickte ernst.
»Wie dem auch sei«, sagte Elias. »Ich habe dir diese Rabauken vorgestellt, damit du weißt, wer künftig auf dich aufpassen wird. Lass dich nicht von äußeren Eindrücken täuschen«, ergänzte er, als er ihren zweifelnden Blick sah. »Wenn es darauf ankommt, sind die Verlorenen Jungs der beste Schutz, den du dir wünschen kannst. Niemand kennt sich in den Labyrinthen unter der Stadt besser aus als diese beiden.«
»Man dankt«, ließ sich Rufus vernehmen und ergriff Emilys Hand. Seine Finger waren eiskalt. »Werte Dame, Sie können sich auf uns verlassen. Wenn es darauf ankommt – und das wird wohl sehr bald der Fall sein –, werden wir zur Stelle sein. Wir krochen schon durch die Tunnel und Gänge, als die Nächte noch von Gaslicht erleuchtet wurden.«
»Die Nächte werden nicht mehr von Gaslicht erleuchtet?«, fragte Willie verwundert. Er kratzte sich am Kopf, was seinen Hut abermals zu Boden trudeln ließ. »Na, sieh mal einer an. Und ich dachte, es wäre immer noch fünf nach zwölf.«
»Ist es auch.« Rufus tätschelte beruhigend Willies Arm, während er Emily einen wissenden Blick zuwarf. »Ist es auch.«
Emily bezweifelte, dass ihre neue Leibgarde sonderlich viel bringen würde. Aber für den Moment war es besser, als allein durch diese Stadt zu irren. »Vielen Dank«, sagte sie zögernd. »Das ist sehr zuvorkommend.«
Beide machten abwinkende Gesten. »Selbstverständlich, selbstverständlich«, versicherte Rufus und verabschiedete sich erneut zur Theke. Willie trottete hinterher.
»Was hältst du von ihnen?«, fragte Elias vorsichtig.
»Sie sind ungewöhnlich«, befand Emily und nahm einen weiteren Schluck Glühwein. »Wo hast du die beiden denn aufgegabelt?«
»Das ist eine lange Geschichte, die Rufus bestimmt viel besser erzählen kann. Aber sag mir zunächst: Ist dir etwas Besonderes an ihnen aufgefallen?«
»Du meinst, außer allem ?«
Elias lächelte. »Ich meine nicht ihr Äußeres oder ihr Gebaren, das zugegebenermaßen wirkt wie aus einem drittklassigen viktorianischen Theaterstück. Und mit drittklassigen viktorianischen Theaterstücken kennen sie sich aus, sie waren früher schließlich Schauspieler! Nein, ich meine eher ein Gefühl.«
Emily bedachte die beiden schrägen Vögel mit einem langen, nachdenklichen Blick. Gerade versteckte Rufus Willies krumpligen Hut auf einem der hohen Spirituosenregale, was den kleineren Willie zu beherzten Sprüngen animierte. Schauspieler. Sie lächelte kopfschüttelnd. Wo war sie nun wieder hineingeraten? »Nein«, sagte sie nach einer Weile. »Nicht, dass ich wüsste.«
»Du hörst also auch Gemurmel von ihnen ausgehen?«
»Das nicht«, sagte Emily nach einigen konzentrierten Augenblicken des Lauschens. Dann fiel ihr auf, dass sie überhaupt kein Gemurmel mehr hörte. Mit Ausnahme von ihr, Elias und dem seltsamen Paar war der Pub leer. »Wo sind die anderen? Und wieso höre ich nichts mehr?«
»Sie sind fort, um die erste Frage zu beantworten. Es ist schließlich schon spät.«
»Früh«, warf Rufus ein, der mit Willie und neuen Getränken zu ihnen an den Tisch zurückgekehrt war. »Die zweite Frage ist etwas komplizierter. Jungs?«
»Nun, Miss«, wandte sich Willie in feierlichem Tonfall an sie. »Bei uns haben Sie es wahrlich mit etwas Sonderbarem zu tun.«
»Wahrlich sonderbar«, pflichtete Rufus nickend bei.
»Denn, sehen Sie, bei uns handelt es sich gar nicht um Vampire, oh nein.«
»Oh nein!«, stimmte Rufus ein.
»Oh nein. Aber wir wären gern welche, stimmt’s, Rufus?«
»Stimmt ganz genau, mein Herr. Seit dem Augenblick, als wir hinter dem Britannia Theater angefallen worden sind, wären wir nichts lieber als das.« Er rieb sich das Kinn. »Obwohl wir an diesem Abend bei Weitem nicht so schlecht waren wie in der furchtbaren Spielzeit 1844/45.«
»Aber wenn ihr keine Vampire seid«, fragte Emily nach, »wieso seid ihr dann hier? Wieso habt ihr spitze Zähne? Seid ihr etwa nicht tot?«
Rufus seufzte. »Mausetot sogar, was, Willie?«
»Nicht das geringste Quäntchen Leben in uns, nein, Madame, bedaure.«
Irritiert blickte Emily zu Elias. »Ich fürchte, das gehört zu ihrer Show«, raunte Elias ihr zu und lehnte sich zurück.
Wie um das eben Gesagte zu
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