Herbstbringer (German Edition)
Gelächter aus. Emily warf Elias einen fragenden Blick zu, was dieser mit einem resignierten Schulterzucken quittierte. »Manieren, meine Herren!«
»Oh, ja, oh«, entfuhr es den beiden, und für einen Moment verfielen sie in betretenes Schweigen. Unbeholfen zogen sie die Hüte von ihren Köpfen und knautschten sie verlegen zwischen ihren Fingern. »Verzeihung, Miss«, murmelte der Große. »Wir sind nur so aufgeregt, weil der feine Herr Elias bereits so viel von Ihnen erzählt hat.«
»Ja, und von früher«, vervollständigte sein Kumpan, der wie eine etwas zu kurz geratene Version des anderen wirkte: Beide hatten sorgsam gekämmte Seitenscheitel, furchtbar veraltete Filzhüte und trugen viel zu kurze Westen. Obwohl sich Emily nicht vorstellen konnte, dass die beiden hier kein Spiel mit ihr spielten, war es fast unmöglich, sie trotz aller Aufdringlichkeit nicht zu mögen.
Der Hagere räusperte sich. »Rufus nennt man mich«, sagte er förmlich und deutete eine Verbeugung an. »Ich werde heute Nacht als Mundschenk fungieren.« Damit verschwand er in Richtung Bar.
»W-Willie«, brachte die kleine Rufus-Variante fast ohne Stottern raus. Seine Verbeugung gipfelte darin, dass sein Hut vor ihm auf dem Boden landete, was in einer Slapstick-Nummer endete, in der er seinen urplötzlich zum Leben erwachten Hut durch den Pub jagte. »Zu ihren Diensten«, brachte er atemlos hervor, nachdem er die Jagd erfolgreich zu Ende geführt und Rufus bereits vier neue Gläser auf dem Tisch abgestellt hatte.
Sie schauten sich an. Wie auf Kommando sprachen beide gleichzeitig. »Und wir sind die Verlorenen Jungs.«
Elias klatschte zweimal in die Hände. Unsicher, was sie jetzt tun sollte, stimmte Emily ein. Es schien das Richtige zu sein: Die beiden zu groß geratenen Kinder strahlten und klopften sich begeistert auf die Schultern.
Rufus hob sein Glas. »Auf das Ende der Welt«, verkündete er dramatisch. Zaghaft probierte Emily die heiße Flüssigkeit. Sofort wurde sie von einer würzigen Wärme geflutet, die sich gezielt in ihrem Körper ausbreitete. Es schmeckte fruchtig und scharf. »Dieser Trinkspruch klappt erheblich besser als damals. Früher hieß dieser Pub Mother Red Cap . Nach dem einen oder anderen Drink ging das ganz schön schwer über die Lippen.«
»Wohl wahr. Vor allem nach dem besten Glühwein von ganz London!« Willie lächelte selig in sein fast leeres Glas hinein. Das Duo schien für den Moment besänftigt.
Emily nahm einen weiteren vorsichtigen Schluck. Sie hatte zuvor noch nie Alkohol getrunken – oder zumindest nicht, seit sie gefunden worden war. Mit fast zweihundert Jahren auf dem Buckel war sie aber wohl kaum zu jung, um damit anzufangen. »Die Verlorenen Jungs – das ist aus Peter Pan , richtig?«
»Sehr wohl, Miss«, bestätigte Rufus zwischen zwei tiefen Schlucken. Auch sein Glas war schon wieder leer. »Ist so eine Masche von uns.«
»Ich habe es bislang nicht eingesehen, mich zu Peter Pan degradieren zu lassen«, raunte Elias ihr zu. »Nicht, dass sie Rücksicht darauf nehmen würden.«
»Aber es passt doch«, protestierte Rufus. »Du bist unser Anführer, todesmutig, und richtig erwachsen wirst du auch nicht. Außerdem ist da noch …«
»Genug«, fiel ihm Elias ins Wort. »Ihr langweilt unseren Gast.«
»Nein, im Gegenteil. Gibt es auch Glöckchen? Und das tickende Krokodil? Das finde ich eigentlich am besten.«
»Nun«, begann Rufus zögerlich und warf einen unsicheren Seitenblick auf Elias. »Könnte man so sagen, ja. Wobei wir uns um die Zeit nicht allzu viele Gedanken machen müssen.«
»Und das hier ist dann Nimmerland?«
»Nimmerland ist abgebrannt«, brummelte Willie. Ein finsterer Schleier legte sich über sein Gesicht. Dann hellte es unvermittelt auf. »Aber was will man auch erwarten, wenn man am Ende der Welt angekommen ist.«
»Rufus und Willie sind alte Freunde«, erklärte Elias jetzt Emily. »Wir kennen uns schon sehr lange und haben viel zusammen durchgemacht.«
»Und ob!«, bestätigten die beiden wie aus einem Mund. »Oh, Miss, wir können Geschichten erzählen …« Rufus geriet ins Schwärmen und bekam gleich von Willie Verstärkung. »Oh ja, Geschichten, Miss, solche haben Sie gewiss noch nicht gehört!«
»Später vielleicht«, fuhr Elias gereizt dazwischen. Dieser Ausbruch überraschte Emily. »Neben diesen beiden Klatschweibern gibt es noch Ambrose. Aber der ist nicht halb so gesprächig.«
»Ha!«, platzte aus Rufus heraus. »Der alte Ambrose ist nicht mal
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