Herbstfrost
minutenlang verprügelt, ehe er sie erschoss? Er muss doch nach dem
Telefonat mit unserm Kommen gerechnet haben. Und warum hat er die Leiche nicht
im Geheimgang deponiert, wo wir sie erst weiß Gott wann gefunden hätten?
Stattdessen hat er versucht, sie im BMW wegzuschaffen. Das alles riecht doch sehr nach Panik.«
»Trotzdem sollten wir ihn nicht unterschätzen. Ich fahre jedenfalls
– wider jede Vernunft – über den Dürrnberg und das Deutsche Eck nach Zell.
Hab’s im Gefühl, dass Sorge da irgendwo unterwegs ist. Ich melde mich, wenn
sich etwas Neues ergibt.«
***
Jacobi hatte das Info-Center kaum betreten, da rief ihm Weider
schon entgegen: »Sorge scheint tatsächlich nach Zell am See zu fahren. Ein
aufmerksamer Gendarm in Unken hat die Viper gesehen und das Kennzeichen
identifiziert. Redl und drei seiner Leute befinden sich im Moment auf der
Panoramastraße zwischen Ramsau und Unken.«
»Ruf das Kommando Cobra an«, verlangte Jacobi. »Ich will Sorge
lebend haben. Wenn er beim Zugriff erschossen wird, bleibt zu viel ungeklärt.
Wie’s aussieht, ist er die Nummer eins, mindestens aber die Nummer zwei der
Sökos.«
Weider reichte ihm den Hörer. »Oberleutnant Rauhfuß von Cobra 6
ist dran. Sag’s ihm halt selbst.«
Jacobi brachte sein Anliegen vor, und der Cobra-Offizier versprach,
bei einer allfälligen Festnahme Sorges trotz der zu erwartenden Gegenwehr so
rücksichtsvoll wie eben möglich vorzugehen.
»Er wurde hinter Lofer in Richtung Saalfelden gesichtet. Wir könnten
ihn schon vor Saalfelden stoppen, lassen ihn aber bis zum Zeller Flugplatz
fahren. Die Hubschrauber halten sich vorläufig zurück, um ihn nicht noch
stärker unter Druck zu setzen. Wenn wir ihn uns am Flugfeld greifen, ist die
Verletzungsgefahr für Passanten sehr gering. Außerdem kann er dort nicht im
letzten Moment eine Geisel nehmen.«
»Hört sich nach einem guten Plan an. Sie halten uns auf dem
Laufenden?«
»Machen wir, Hauptmann. Wir melden uns, sowie die Aktion in eine
neue Phase tritt.«
»Du schaust so skeptisch«, sagte Weider, als Jacobi auflegte. »Was
passt dir nicht?«
»Es geht mir zu glatt. Sorge befindet sich zweifellos in einem
psychischen Ausnahmezustand, aber wenn er sich hätte umbringen wollen, hätte er
das auch in seiner Villa durch das MEK erledigen
lassen können. Dazu hätte er nicht nach Zell am See fahren müssen.«
Weider verstand und rief sofort Redl an. »Lenz, Oskar glaubt, Sorge
ist unterwegs ausgestiegen und lässt die Viper von einem Strohmann nach Zell
chauffieren.«
»Okay, Rauhfuß bleibt dran, wir kehren um. Konzentrieren uns von nun
an auf Berchtesgaden, Reichenhall und Grödig«, kam es postwendend zurück.
»Verständigt die Deutschen und spannt die Medien ein!«
Der Spitzenmann Redl hatte das neue Zielgebiet augenblicklich
abgesteckt. Am Dürrnberg hatte Sorge den Tausch kaum vorgenommen, in der
Einschicht fiel der Sportwagen zu sehr auf, und der Wechsel hätte beobachtet
werden können. In einem Tourismuszentrum wie Berchtesgaden drehte sich dagegen
kein Schulkind nach einem US -Flitzer um.
Das würde sich allerdings schlagartig ändern, wenn die Medien die
Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf Sorge lenkten. Weider informierte den ORF Salzburg und das LKA München, und eine Viertelstunde später sendeten der Bayerische Rundfunk und der ORF sowohl Fahndungsfotos von Sorge als auch
Typenfotos der Dodge Viper. Besonders die Bürger im Rupertiwinkel wurden
eindringlich vor dem flüchtigen Verbrecher gewarnt. Für einen zur Ergreifung
führenden Hinweis wurde eine Belohnung von siebentausend Mark beziehungsweise fünfzigtausend
Schilling ausgesetzt.
Noch während die TV -Fahndung lief,
meldete sich Rauhfuß in der Zentrale und bestätigte Jacobis Vermutung: Der Mann
in der Viper war definitiv nicht Sorge. Ein Cobra-Team, das als
Verkehrspatrouille getarnt war, hatte den Sportwagen auf einer Saalfeldner
Kreuzung aus nächster Nähe geblitzt. Der Fahrer wies nicht die geringste
Ähnlichkeit mit Sorge auf.
»Anhalten, verhaften und an Ort und Stelle verschärft verhören«,
ordnete Jacobi lakonisch an. Da war sie wieder, diese überraschende Härte. »Und
vor Melanies Krankenzimmer wird sofort ein schwer bewaffneter Posten
aufgestellt. Wer weiß, was Sorge in seiner ohnmächtigen Wut –«
»Melanie wird seit ihrer Ankunft im UKH von zwei MEK -Leuten bewacht«, unterbrach ihn
Weider beleidigt.
Jacobi hob beschwichtigend die Hand. »’tschuldige, Hans. Hätt ich
mir ja denken
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