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Herbstfrost

Herbstfrost

Titel: Herbstfrost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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ausgezeichnete Fahrerin sein«, presste er
hervor, als der Quattro zum x-ten Mal quergestellt aus einer Kurve
herausdriftete und die Viper noch immer nicht in Sicht war.
    »Sie fährt um ihr Leben«, sagte Jacobi finster, dann gab er an die
Zentrale durch: »Die Nachhut soll Abzweigungen berücksichtigen, Feld- und
Waldwege inspizieren.«
    »Hat Lenz schon angeordnet«, kam es postwendend von Weider zurück.
    Als sie auf die Anifer Kreuzung zurasten, zogen sich Schremmers
Magenwände zusammen: Er sah sich schon an der gegenüberliegenden Hauswand
kleben. Das Tempo, mit dem Jacobi das Fahrzeug ums Eck lenkte, widersprach
allen physikalischen Gesetzen. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, war er in
die Berchtesgadener Bundesstraße Richtung Autobahn eingebogen. Die Möglichkeit,
dass Sorge stadteinwärts gefahren sein könnte oder geradeaus weiter auf die
Halleiner Bundesstraße, schien er gar nicht in Betracht zu ziehen.
    »Melanie macht den Eindruck einer sehr mutigen Frau«, ächzte
Schremmer. »Aber fürchten Sie nicht, sie könnte die Heldin spielen, wenn Sorge
uns zu entkommen droht?«
    »Ja, das fürchte ich«, sagte Jacobi lakonisch. Fast im selben
Augenblick sahen sie die Viper. Sie beschrieb stark übersteuernd die
Zweihundertsiebzig-Grad-Kurve auf der Auffahrt A10 Richtung Süden und fuhr
eben unter der Berchtesgadener Straße durch, als Jacobi den Knoten Süd
erreichte. Sekunden später war sie auf der Überholspur der Autobahn und zog wie
ein roter Komet davon.
    »Fluchtwagen gesichtet!«, brüllte Jacobi in den Sprechfunk.
»Salzburg-Süd, Richtung Hallein auf A10. Wird wahrscheinlich bei nächster
Gelegenheit wieder abfahren, um mögliche Autobahnsperren zu umgehen. Häng mich
dran. Jacobi, Ende!«
    Er holte aus dem acht Jahre alten Quattro das Letzte heraus. Das
Rallyefahrzeug war auf der Landstraße der Champion, auf der Autobahn dem
Sportwagen aber eindeutig unterlegen.
    Und doch sahen sie das karminrote Heck schon nach wenigen Minuten
wieder. Die Viper schien auf der Überholspur zu stehen, so schnell verringerte
sich die Distanz.
    Aber es war keine optische Täuschung: Sie stand tatsächlich! Und
etwa hundert Meter davor rannte eine Frau auf dem Grünstreifen entgegen der Fahrtrichtung.
Ihre langen dunklen Haare flatterten im Luftzug vorbeidonnernder Transporter.
    »Melanie!«, schrien Jacobi und Schremmer gleichzeitig. Sie
überquerte Fahrbahn und Pannenstreifen und lehnte sich erschöpft an die
Leitplanke, als die Viper wieder Fahrt aufnahm und davonraste. Jacobi war’s
egal. Sollten sich doch die Spezialeinheiten des Innenministeriums um Sorge
kümmern. Er beorderte ein Sanitätsfahrzeug herbei und hielt auf dem
Pannenstreifen vor Melanie. Schremmer sah das Wasser in seinen Augen stehen.
    Sie sah furchtbar aus. Jeans und Lammfelljacke waren an mehreren
Stellen zerrissen, sie blutete an Kopf, Schultern, Ellbogen und Knien. Aber sie
war Sorge entkommen. Nur das zählte.
    Als Jacobi mit zitternden Knien ausstieg und Melanie ihm schluchzend
um den Hals fiel, dröhnten die Einsatzwagen des MEK mit abschwellendem Dopplereffekt ihrer Folgetonsirenen an ihnen vorbei.
    »Du bist ja vollkommen durchgeknallt«, sagte er zärtlich.
»Hundertmal geht so etwas schief, aber wahrscheinlich hast du einen ebenso
durchgeknallten Schutzengel.«
    »Ja, dich!« Sie klammerte sich fest an ihn. Schremmers Bodyguards
hielten mit quietschenden Reifen neben ihnen.
    »Ich musste fahren wie eine Irre, aber trotzdem kamst du immer
näher. Sorge hat dich schon auf Höhe Hellbrunn hinter uns gesehen. Du bist aus
dem Morzger Wald nur so hervorgeschossen.« Sie musste Luft holen, war noch
kurzatmig.
    »Der immer geringer werdende Abstand hat ihn nervös gemacht«, fuhr
sie fort, »vor allem wegen der Anifer Kreuzung. Eine winzige Verzögerung – und
du hättest an unsrer Stoßstange geklebt.«
    Sie löste sich aus der Umarmung, stützte sich aber schwer auf ihn
auf, als er sie zum Wagen begleitete.
    »Dann hat er mich weiter Richtung Autobahn gejagt. Ursprünglich
hatte er vorgehabt, sich in Anif in eine Seitengasse zu verkrümeln und euch
vorbeizulassen, aber du warst ja zu dicht dran. Als ich beim Einfahren in die
Kreuzung Zeit schinden wollte, hat er mir klipp und klar gesagt, dass die
nächste unerzwungene Verzögerung meinen Tod bedeutet. Ich spürte, wie er abwog,
ob ich ihm nicht ohnehin eher hinderlich war. – Ich glaube, mir wird schlecht.«
    »Setz dich ins Auto!«, wies Jacobi an. »Du hast ein
Schädelhirntrauma.

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