Herbstfrost
warten wir zu viert auf ihn.«
Trotz des Ernstes der Situation grinste Jacobi. Kein Wunder, dass
gleich drei Behörden Redl haben wollten! Vorauszuahnen, welche Richtung ein
Flüchtiger einschlagen würde, war eine Instinktleistung, die man nicht auf der
Akademie lernte. Redl daran zu erinnern, Sorge nach Möglichkeit lebend zu
stellen, war überflüssig.
Er hielt den Quattro auf dem Pannenstreifen an und schaltete die
Alarmblinkanlage ein. Weider gegenüber hatte er den Coolen gegeben, aber jetzt
konnte er nicht weiterfahren. In den nächsten Minuten entschied sich Sorges
Schicksal.
Jacobi stieg aus und zündete sich eine Zigarette an. Kaum halb
geraucht trat er sie wieder aus. Da meldete sich Redl wieder.
»Tut mir leid, Oskar. Sorge ist aus dem Wagen gesprungen und hat mit
seiner Automatik das Feuer auf uns eröffnet, obwohl vier S t G s auf ihn gerichtet
waren. Er hat es darauf angelegt, erschossen zu werden.«
»Ist er tot?«
»Nein, aber schwer verwundet. Muss sofort operiert werden. Wir haben
versucht, ihn mit einem Schuss in die Schulter außer Gefecht zu setzen. Er ging
zu Boden, feuerte aber im Liegen weiter. Unser quer gestellter Wagen bot nur
unzureichende Deckung, einen meiner Männer hat Sorge am Bein erwischt. Da gab’s
dann kein Zögern mehr. Die zweite Kugel sitzt nahe an Sorges Herzen. Ein
Notarztteam ist bereits vor Ort und versucht ihn so weit zu stabilisieren, dass
er wenigstens den Transport ins LKH übersteht.«
»Ist er ansprechbar?«
»Er war noch kurz bei Bewusstsein. Stammelte einige Worte und sackte
dann weg. Die Ärzte lassen mich jetzt nicht mehr zu ihm. Ich höre grad, eine
Vernehmung ist frühestens morgen möglich, falls er dann noch lebt.«
»Was hat er gesagt?«
»Er sagte: ›… Frau … nicht erschossen. Nilson muss …‹ Dann ist
er kollabiert.«
»Nicht uninteressant«, murmelte Jacobi. »Warum sollte er an der
Schwelle zum Jenseits lügen und bestreiten, seine Frau getötet zu haben? Danke
trotzdem, übrigens! Ich weiß, ihr habt euch große Mühe gegeben, ihn lebend zu
kriegen. Aber gerade das wollte er ja vermeiden, als er keinen Ausweg mehr
sah.«
»Du musst uns nicht trösten, Oskar. Es war unser Job, und den haben
wir gemacht, so gut wir konnten. Sollte Sorge an unsern Kugeln sterben, werden
sich unsere Gewissensbisse in Grenzen halten. Oder hast du noch irgendwelche
Zweifel, dass er der Alpha-Wolf ist, nach dem Theater, das er heute aufgeführt
hat?«
***
Behrens blieb provisorischer Leiter des Heiligenkreuz-Spitals,
bis sich sein Nachfolger eingearbeitet hatte. Der Neue war ein asketischer Typ
mit verkniffenen Gesichtszügen. Jacobi fand, er hätte viel besser als Kustos in
eine Klosterbibliothek gepasst als in eine moderne Klinik als Vorstand. Kastner
schien in puncto Fleischeslust kein noch so geringes Risiko mehr eingehen zu
wollen.
Obwohl Behrens’ Tage am HKS gezählt
waren, wirkte er – wie schon auf der Jubiläumsfeier – unbeschwert und gelöst.
Er begrüßte Jacobi, der ihm die Versetzung eingebrockt hatte, mit Handschlag
und ließ Kaffee bringen.
»Ich weiß, ich sollte Ihnen eigentlich böse sein. Immerhin sind Sie
für meinen Karriereknick verantwortlich«, griff er eine diesbezügliche
Bemerkung Jacobis auf. Felicitas schenkte ihnen ein. Sie hatte rot geweinte
Augen.
»Aber ganz objektiv betrachtet waren Sie, wenn auch unabsichtlich,
mein Retter. Sie haben mich gezwungen, zu meinen Fehltritten zu stehen und zu
meiner Berufung zurückzufinden. Und dafür haben Sie meinen Dank verdient, nicht
Vorwürfe.«
Laut aufschluchzend lief Felicitas ins Vorzimmer hinaus und schlug
die Tür hinter sich zu. Behrens hob entschuldigend die Schultern.
»Tut mir leid. Die Liebe fragt eben nicht, wohin sie fallen darf.
Unser Konzept, mit attraktivem Personal zu arbeiten, ist marktwirtschaftlich
voll aufgegangen, barg aber auch gewisse Risiken. Wie Sie sehen, bin ich
schlussendlich nicht das einzige Opfer dieses Kalküls.«
Jacobi nickte. »Der Blick zurück ist fast immer mit Wehmut
verbunden. Entweder beklagt man Versäumtes oder die Flüchtigkeit des Erlebten.
Leider kann ich auf Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen, Pater. Ich möchte
heute wissen, ob bestimmte Leute in den vergangenen Jahren Patienten am HKS gewesen sind.«
Behrens runzelte die Stirn. Jacobi wollte Einblick in die
Patientendatei – und das ohne richterliche Ermächtigung.
»Der Pater General hat mir aufgetragen, Sie nach Kräften zu
unterstützen. Also muss ich Ihnen wohl
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