Herbstfrost
Sorge fast eine Minute verstreichen, ehe er weinerlich
antwortete: »Ich habe Gudrun geliebt, aber sie hat mich an Schremmer verraten.
Wollte mich der Justiz ausliefern, um mit ihm gemeinsam das bisschen Geld, das
ich noch besitze, zu verjubeln.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich erhielt einen anonymen Anruf.«
»Und daraufhin haben Sie Ihre Frau, die Sie so sehr lieben, sofort
verprügelt?«
»Die Nachricht betraf nicht nur den Verrat. Der streng geheime
Alpha-Code und zwei unbefugte Zugriffe auf die Datei wurden ebenfalls
angeführt. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Nie wäre mir in den Sinn
gekommen, dass Gudrun über die Sökos Bescheid wissen könnte.«
»Wusste sie auch nicht. Oder glauben Sie, sie hätte sich aus eigenem
Antrieb an Ihren PC gesetzt, um einen bestimmten
Code zu knacken? Dafür waren andere verantwortlich.«
Sorge schaltete schnell. »Sie meinen einen ihrer Liebhaber?«
»Was spricht dagegen?«, gab Weider die Frage zurück. »Welcher Code
war denn eingegeben, ehe Sie die Diskette dem toten Rottenstein in die Tasche
stecken ließen? Sie müssen uns übrigens für sehr beschränkt halten, wenn uns
der Code ›Livia‹ nicht misstrauisch machen sollte.«
»Ein Fehler unter Zeitdruck. Der ursprüngliche Code lautete › MUNICH 200886‹. Ich habe meine Frau am 20. August
1986 in München kennengelernt. Wir waren dort einige Tage lang sehr glücklich.«
»Was Sie nicht sagen. › MUNICH 200886‹
wäre von einem Außenstehenden also nicht zu erraten gewesen. Ein Bettgenosse
Ihrer Frau dagegen hätte mit etwas Glück und Geschick drauf stoßen können. Es
gibt kaum etwas, worüber im Bett nicht gesprochen wird.«
»Warum haben Sie Grabowsky ermorden lassen?«, schaltete sich
Feuersang wieder ein. »Hätte er einen Hinweis auf die AIC geben können?«
»Grabowsky war ein Söko der ersten Stunde, aber nur der
Gamma-Kategorie. Er hätte mich nicht verraten können, weil er mich nicht
kannte, und ich habe auch nicht den Auftrag erteilt, ihn zu liquidieren. Wüsste
selbst gern, wer dafür verantwortlich ist. Seinen Kumpanen gegenüber hat er
einen Jugendfreund erwähnt, der ihm das HKS empfohlen haben soll. Ob dieser Freund jedoch etwas mit seinem gewaltsamen Tod
zu tun hat, kann ich freilich nicht sagen. Ist mir auch egal.«
»Was ist mit Jutta Dietrich? Ist die Ihnen auch egal?«
»Wer ist Jutta Dietrich?«
»Was soll das Versteckspiel? Kommt es Ihnen darauf noch an? Jutta
Dietrich sollte Grabowsky im HKS euthanasieren –
als Gesellenstück sozusagen. Stattdessen hat sie ihm erzählt, was man von ihr
verlangt hat, und Grabowsky hat daraufhin über die Sökos ausgepackt.«
»Ich kenne keine Jutta Dietrich«, sagte Sorge. »Außerdem hätte ich
gerade im HKS nie etwas Derartiges angeordnet.
Gladius Dei ist ein AIC -Großkunde, mit dem wir
fast ein Monopolabkommen haben. Es wäre gleichbedeutend mit einem öffentlichen
Outing gewesen, dort Sökos einzuschleusen.«
Jetzt riss Feuersang doch der Geduldsfaden. »Sie selbst haben
Schremmer vorige Woche zum Baufritz-Lagerplatz beim ›Welikije Luki‹ gelockt.
Als Köder diente das Stichwort ›Marlene‹, der Spitzname von Jutta Dietrich.«
Sorge atmete heftiger. »Ich habe Schremmer nie irgendwohin gelockt.
Eben das hat mich ja in den letzten Tagen so verrückt gemacht. Es geschahen
immer wieder Dinge, die ich nie angeordnet hatte. Und wenn ich nachfragte, hieß
es: Alpha-Order! Die Anordnung sei über den Code S 1/1-090767 erfolgt. Der
9. Juli 67 ist der Geburtstag meiner Frau. Ich versichere Ihnen, weder
Grabowskys Ermordung noch die Anschläge auf Schremmer und Jacobi gehen auf mein
Konto. Auch nicht auf das von Nilson. Diese Aktionen waren für die Sökos doch
allesamt selbstzerstörerisch. Glauben Sie im Ernst, wir beide hätten so etwas
veranlasst?«
»Also haben Sie niemanden ins HKS zu
Pater Behrens geschickt, um sich nach dem Verbleib von Jutta Dietrich zu
erkundigen?«
»Nein, zum Teufel, nein! Ich höre diesen Namen heute zum ersten
Mal.«
»Und Sie haben auch nicht höheren Orts interveniert, um Hauptmann
Jacobi diesen Fall entziehen zu lassen?«
»Wie hätte ich denn? Ich hab doch erst am Wochenende von Phryne
erfahren, was da auf mich zukam. Als Grabowsky, Moospitzner und Klausen
verhaftet wurden, habe ich eine Anwaltskanzlei beauftragt, sie zu vertreten,
aber für weitere Maßnahmen fehlte mir die Zeit.«
»Jetzt ist Schluss, meine Herren«, sagte der Arzt sehr bestimmt.
»Sie sehen, dem Patienten geht es
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