Herbstfrost
ausgemacht um vierzehn Uhr abgerückt.«
Jacobi wählte erneut. Das Freizeichen ertönte. Ein Mal, zwei Mal …
fünf Mal. Dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein.
Jacobi probierte es noch einmal. Mit demselben Erfolg. Also wieder
Stubenvoll.
»Oliver, versuchen Sie Schremmer zu erreichen. Ich fahre inzwischen
zu seinem Haus.« Wie ein Selbstmörder raste er durch die Innenstadt.
***
Schremmer öffnete nicht. Auch nicht nach einer halben Minute
Sturmläuten. Natürlich konnte er weggefahren sein. Seine Viper hatte man ihm am
Vormittag zurückgebracht, außerdem besaß er als Zweitwagen einen Jeep.
Jacobi fluchte und haderte mit sich selbst. Idiot! Idiotischer
Idiot! Warum nur musstest du den Abzug des Personenschutzes von der Festnahme
Sorges abhängig machen.
Die Fenster im Parterre waren vergittert. Er kletterte an einem
Spalierbaum bis zum ersten Stock und schlug eine Scheibe ein. Um die empörten
Rufe einiger Passanten kümmerte er sich nicht.
Er inspizierte jeden Raum vom Dachboden bis zum Keller. Die Scheibe
eines Kellerfensters war sauber ausgeschnitten worden. Schremmer befand sich
nicht im Haus, sein Mobiltelefon lag auf dem Wohnzimmertisch, die Viper stand
brav in der Garage, neben ihr der Jeep Cherokee. Es war nicht gerade
ermutigend, dass die Haustür von innen verschlossen war und der Schlüssel
steckte.
Die Glastür zur Gartenterrasse war angelehnt. Jacobi trat hinaus.
Eine üppige Thujenhecke schützte vor neugierigen Blicken der Nachbarn. Im
ungepflegten Rasen entdeckte er die Reifenspuren. Grobstolliges Profil.
Vermutlich ein Offroader.
Zwischen Garagenmauer und Thujenhecke waren knapp zwei Meter Platz.
Der Wagen war hier rigide durchgezwängt worden. Und zwar zwei Mal! Einmal nach
hinten in den Garten und wieder zurück zur Straße.
Jacobi lief zurück ins Wohnzimmer und beorderte die Spusi zu
Schremmers Haus, bevor er den Reifenspuren nach vorn zur Ausfahrt folgte.
»Da! Da ist er!« Ein Häufchen aufrechter Bürger hatte sich auf dem
Gehsteig versammelt und starrte Jacobi feindselig an.
»Jetzt brechen sie schon am helllichten Tag ein. Sicher wieder so
ein verdammter Asylant!«
»Schaut euch nur die Visage an! Und so was rennt noch frei rum!«
»Vielleicht ist er gar kein gewöhnlicher Einbrecher!«, kreischte
eine fette Rothaarige. »Vielleicht ist er einer von diesen Seniorenkillern! Die
können bei uns ja tun und lassen, was sie wollen.«
»Wo bleibt denn die Polizei?«, maulte ihr Begleiter. »Du hast doch
angerufen?« Er reckte seinen Hopfenmuskel herausfordernd gegen Jacobi.
»Ja, wo bleibt die Polizei?«, schrie ein blasser Buchhaltertyp.
»Wenn man irgendwo fünf Minuten falsch parkt, haben sie einen sofort am Wickel.
Aber wehe, man braucht sie wirklich einmal, diese Fetzenschädel!«
»Ich bin von der Gendarmerie, Leute«, sagte Jacobi ruhig. »Ich suche
den Besitzer des Hauses. Deshalb bin ich eingestiegen.« Er zog seinen Ausweis
aus der Tasche.
»Gendarmeriehauptmann Jacobi, tatsächlich«, las die Rothaarige
enttäuscht.
»Dürfen Sie das eigentlich? Einfach irgendwo einsteigen?« Der
Hopfenmuskel mochte sich mit der neuen Situation nicht abfinden.
»Wenn Gefahr im Verzug ist, darf ich das. Und diese Situation ist
gegeben. Also lassen Sie mich bitte zu meinem Wagen!«
Widerwillig traten die selbst ernannten Ordnungshüter zur Seite.
Hinter sich hörte Jacobi die bessere Hälfte des Buchhalters schimpfen: »Du bist
vielleicht ein Koffer, Herbert! Das ist doch der Kiberer, der vorhin im
Fernsehen war …«
***
Der lang angekündigte Wettersturz machte sich auf der Autobahn
doppelt unangenehm bemerkbar. Nach dem Ofenauer Tunnel reduzierte dichter
Schneeregen die Sicht auf wenige Meter. Einige Pkws und ein Lieferwagen hatten
bereits unliebsame Bekanntschaft mit den Leitplanken gemacht. Der alte Quattro
war schon in den vergangenen Tagen etlichen Sonderprüfungen unterworfen worden,
und die gegenwärtige auf der überfluteten A10 würde nicht seine letzte sein,
das war sicher. Der Wetterdienst meldete ergiebige Schneefälle am
Tauernhauptkamm. Nicht ungewöhnlich für die Jahreszeit. Früher waren die
Tauerntäler auch schon mal im Hochsommer im Schnee versunken.
Auf der matschigen Straße mit nahezu zweihundert Stundenkilometern
dahinzubolzen, wäre für einen Sonntagsfahrer eine ziemlich verlässliche Methode
gewesen, erfolgreich Selbstmord zu begehen, und auch für ein ehemaliges
Rallye-Ass war das Risiko nicht gerade gering. Aber Jacobi musste sich
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