Herbstfrost
interessieren ihn die AIC und
die gesamte ANUBIS AG außerordentlich. Um die geht es nämlich und – wie meistens in solchen Fällen –
um eine Menge Geld.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Und was habe ich damit zu schaffen?«
»Hör einfach zu! Die marode AIC ist
die Schwachstelle des ANUBIS -Konzerns. Hier soll
der Hebel angesetzt werden. Die Partner deines Partners – allesamt potente
Finanzhaie – bereiten den Deal vor. Zu einem geplanten Zeitpunkt soll der
Sökos-Skandal der angeschlagenen AIC den
Gnadenstoß versetzen. Das würde auch den Gesamtkonzern in Schwierigkeiten
bringen und empfänglicher für Beteiligungs- oder Übernahmeangebote machen.«
»Das alles willst du in einer Woche herausgefunden haben?«
»Mir schwante schon nach den Anschlägen auf Schremmer und mich, dass
die Sökos ihrer Anonymität beraubt werden sollten. Nur wusste ich nicht, warum.
Zunächst vermutete ich hinter dem Initiator einen abtrünnigen Insider, erst
Sonntagnacht brachten mich Aussagen der vernommenen AIC -Manager
auf die Spur deines Partners. Warum er selbst bei der Zerschlagung der Sökos
nicht in Erscheinung treten wollte, kann ich nur vermuten. Hätte er nichts zu
verbergen gehabt, dann hätte er sich das aufwendige Grabowsky-Theater auch
sparen können. Er hätte nur Behörden und Medien zum gewünschten Zeitpunkt
einschalten müssen, und schon wäre der Deal gelaufen gewesen.
Du hast ihm, wie ich schon sagte, mit der Kummetinger-Episode die
Idee geliefert. Außerdem kanntest du Schremmer. Dich als Köder einzusetzen, war
der logische nächste Schritt. Und Schremmer, der selbst ein Meister im
Geschichtenerfinden war, biss tatsächlich an. Besorgte der verängstigten
Gelegenheitsgeliebten sogar ein feudales Versteck in den Bergen. Ich nehme an,
ihr habt euch darüber königlich amüsiert – du und dein Partner. Alles ließ sich
wunderbar an, aber wer mit Entsetzen seinen Scherz treibt, der muss auch auf
den Konter des Schicksals gefasst sein. Kennst du die Geschichte vom Hund des
Odysseus?«
»N…nein, kenn ich nicht.«
»Der Sagenheld Odysseus hatte einen alten erblindeten Hund, der
seinen Herrn auch nach zwei Jahrzehnten der Trennung an der Stimme
wiedererkannte. Unmittelbar danach verendete er. Auch Grabowsky hat eine Stimme
am Telefon erkannt, die er sehr lange nicht mehr gehört hatte. Simba hatte sich
mit dem Alpha-Code bei ihm gemeldet, freilich ohne zu wissen, dass er einen
alten Kumpan anrief, und ihm empfohlen, sich im HKS behandeln zu lassen.«
»Simba? Wer soll das nun wieder sein?«
»Stell dich nicht blöd! Von wem reden wir denn die ganze Zeit? Von
deinem Partner! Simba war der Kopf einer Villenmarder-Bande, die nie gefasst
wurde. Eine Integrationsfigur, zu der Grabowsky vor langer Zeit aufgeschaut
hatte. Er hatte Simba nicht vergessen, aber Simba ihn .«
»Der Konter des Schicksals?« Jutta Dietrichs Gesicht war weiß wie
ein Bettlaken geworden.
»So ist es. Grabowsky nahm an, sein früherer Bandenchef sei auch
sein jetziger, ließ sich aber nicht anmerken, dass er ihn wiedererkannt hatte.
Simba hätte ihn sonst sicher nicht als Köder für Schremmer ausgesucht, sondern
die Farce sofort abgeblasen. Erst nach dem Aufenthalt im HKS legte Grabowsky seine Zurückhaltung ab und
kontaktierte Simba seinerseits. Warum, weiß ich nicht. Auch nicht, wie er Namen
und Adresse herausbekommen hat. Simba sah sich enttarnt und seine Existenz
bedroht. Umso stärker, als Grabowsky kurz darauf verhaftet wurde. Das war sein
Todesurteil. Wollte Simba nicht alles gefährden, was er bisher erreicht hatte,
dann musste die Vergangenheit Vergangenheit bleiben. Sein früheres Doppelleben
als Student und Villenmarder in Graz wäre ein wahres Fressen für die Medien
gewesen. Auch wenn die Straftaten inzwischen verjährt waren, wäre seine
Reputation zerplatzt wie eine Seifenblase.«
Jacobi nahm einen Schluck von seinem Drink und zündete sich eine
Zigarette an. Jutta ging erneut zur Hausbar. Ihre Hände zitterten, als sie sich
einen Schnaps einschenkte. Wieder zurück am Tisch setzte sie mehrmals zum
Sprechen an, brachte aber keinen Ton heraus. Sie stand unter Schock. Endlich
kam ihr die Frage über die Lippen, die sie seit geraumer Zeit beschäftigte: »Du
… du sagtest vorhin, Schremmer war selbst ein Meister
im Geschichtenerfinden. Das klingt so, als würde er nicht mehr leben. Was ist
mit Kurt?«
»Du hast gut hingehört. Und ja, ich glaube nicht, dass wir ihn
lebend wiedersehen. Schremmer war kein Anfänger.
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