Herbstfrost
nach Hause kommen.«
Er bedeutete Jutta, die Verbindung zu beenden. »Wer ist dieser Lenz,
den –?« Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Keine zwanzig Meter vor ihnen
wechselte ein Rudel Rehe über den verschneiten Forstweg, doch Jacobi durfte
nicht bremsen. Die letzte Rehgeiß schaffte den Sprung über die Böschung nicht
mehr rechtzeitig, der Quattro büßte einen Scheinwerfer ein, das Tier sein
Leben. Jacobi hatte nicht zu Unrecht das Gefühl, als würde Jutta in diesem
Moment etwas Zuspruch benötigen.
»Beruhig dich. Alles paletti! Massier deine Füße weiter.«
Als er anschließend selbst in Schweigen verfiel, spürte Jutta seine
Hoffnungslosigkeit.
***
In der sechsten Kehre war es so weit: Obwohl es kaum noch
schneite, lag der Schnee für den Quattro bereits zu hoch. Der Wagen blieb mit
durchdrehenden Rädern stecken und begann sich einzugraben. Jacobis Stirnfalten
vertieften sich.
»Tut mir leid, wir müssen raus! Im Kofferraum sind zwei Gummimatten,
die wir vor die Hinterräder stecken. Du springst erst dann wieder in den Wagen,
wenn er Fahrt aufnimmt. Aber pass auf, dass du dabei nicht ausrutschst, klar?«
»Klar.«
Sie stiegen rasch aus, griffen sich die Matten und zwängten sie vor
die Räder, während sie unentwegt hinter sich horchten. Der G brummte auf
der Trasse über ihnen. Schon in ein, zwei Minuten konnte er sie eingeholt
haben.
»Fertig!«, rief Jutta. »Mach schnell!«
Am veränderten Motorengeräusch hörten sie, dass Piritz die Kehre
hinter ihnen erreicht hatte. Der Offroader zog durch die Kurve, als würde er
auf trockenem Asphalt fahren, und beschleunigte wieder.
Jacobi sprang in den Quattro und ließ die Kupplung kommen. Die
Hinterräder wälzten sich auf die Matten, bauten Grip auf. Jutta musste sich
sehr anstrengen, um ihren Beifahrersitz noch zu erreichen.
»Für ein nächstes Mal haben wir keine Matten mehr«, sagte sie
lakonisch. Jacobi beschloss, die letzten Kehren mit Vollgas zu nehmen.
Piritz hatte inzwischen bis auf zweihundert Meter aufgeschlossen.
Die Matten, die er jeden Moment passieren musste, würden ihn wahrscheinlich
zusätzlich anspornen.
»Ich … ich spüre meine Füße wieder!«, rief Jutta plötzlich
glücklich, als gäbe es keinen Piritz, keinen Herbstschnee und keinen leeren
Benzintank. Das nochmalige Kältebad hatte ihrer Blutzirkulation anscheinend
gutgetan. Jacobi gönnte ihr das kleine Glück, befürchtete aber, dass es in
wenigen Minuten keine Rolle mehr spielen würde, ob sie gesunde oder erfrorene
Füße hatte.
Entgegen seinen Befürchtungen durchfuhr er die letzten Kehren ohne
Schwierigkeiten. Der Schneefall hatte aufgehört, und ein kalter Vollmond und
der einäugige Quattro beleuchteten die schneebedeckte Gollehenalm. Auf der
Anfahrt hatte Jacobi im kleinen Auwald noch hier und da schwarze Moorflecken
gesehen, jetzt waren sie verschwunden. Alles war weiß und starr.
Er hatte den Schwung von der Forststraße auf die Seidlwinklstraße
mitgenommen und wühlte sich, so schnell es die Schneedecke erlaubte, die sanfte
Steigung zur Gollehenalm hinauf. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken,
in die Hütte einzubrechen, um Zeit zu gewinnen, verwarf ihn aber wieder.
Almhütten waren winterfest versperrt und verriegelt. Er hatte zwar Werkzeug im
Kofferraum, aber bis er sich Zutritt verschafft hätte, hätte Piritz sie zehnmal
eingeholt gehabt.
Doch Jacobi war schon heilfroh, es überhaupt bis auf die Kuppe vor
der Gollehenhütte geschafft zu haben. Danach ging es wieder bergab – hinunter
in die Klausen. Das Problem dabei würde nicht so sehr die steile Straße,
sondern der dichte Mischwald darüber sein. Von den Ästen würde jede Menge
Schnee auf die Fahrbahn fallen. Trotzdem waren die Karten nun anders verteilt
als noch vor einer halben Stunde. Schafften er und Jutta es durch die Klausen
zum Parkplatz hinunter, so wurde es für Piritz zusehends schwieriger, sie
einzuholen.
»Ruf Weider noch einmal an!«, verlangte Jacobi von seiner
Beifahrerin. »Sag ihm, wir sind bei der Gollehenalm, und frag ihn, wie weit die
Alpingendarmerie schon gekommen ist!«
Doch in der engen Klamm kam keine Verbindung zustande.
Jacobi stürzte sich die Klausen hinunter. Die Bäume warfen
tatsächlich ihre Schneelast ab – oder hatten sie bereits abgeworfen. Wiederholt
schwamm der Quattro auf Schneerieden auf, aber ebenso oft schaffte es Jacobi,
Distanz zum Abgrund zu halten. Das Steilstück jedoch musste im ersten Gang
gefahren werden, egal, ob Piritz
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