Herbstfrost
Ermittler wollten den besten Zeitpunkt zum Zünden
der Bombe abwarten.
Bei diesem Gedanken lief Jacobi ein Schauer über den Rücken. Er
stellte sich vor, wie Basidius, der ihm jetzt gegenübersaß, im Parlament ans
Rednerpult trat und die Öffentlichkeit mit den Beweisen eines Gerontozids
konfrontierte. Und die Exekutive hatte mal wieder keine Ahnung gehabt.
»Nein, meine Infos habe ich nicht von der Stapo«, beantwortete
Basidius seine diesbezügliche Frage. »Soviel ich weiß, hat dort niemand auch
nur die geringste Ahnung von den Seniorenkillern.«
Ein unerwartetes Dementi. Kaum einem Abgeordneten wurden bessere
Kontakte zur Stapo nachgesagt als Basidius.
»Was Ruth und ich wissen«, fuhr er fort, »oder sagen wir besser: zu wissen glauben , das haben wir von einem Journalisten –
einem von der Sorte, die den einsamen Wolf spielen. Er hat mir das Versprechen
abgenommen, Exekutive und Öffentlichkeit erst dann zu informieren, wenn er
hieb- und stichfeste Beweise für seine Theorie vorlegen kann.«
»Sie wissen, wie zynisch sich das anhört?«, fragte Jacobi.
»Inzwischen könnten Dutzende von Menschen sterben – und das nur wegen der
Eitelkeit und Geldgier eines Sensationsreporters, der die Lorbeeren allein
ernten will.«
Basidius hob abwehrend die Hände. »Ich habe gesagt, ich habe ein
Versprechen gegeben. Nicht dass ich es bis in alle Ewigkeit halten würde. Ruth
hat mir von den Ereignissen am Reedsee erzählt und mich gedrängt, Ihnen den
Namen unseres Bekannten zu nennen.«
»Dann sagen Sie ihn mir«, verlangte Jacobi, »egal, was Sie dem Mann
versprochen haben! Ich muss so bald wie möglich mit ihm reden. Und selbst wenn
er keine wasserdichten Beweise für seine Theorie vorlegen kann: Nach allem, was
Sie bisher angedeutet haben, hat er uns gegenüber einen riesigen
Wissensvorsprung, und der muss zum Schutz der Allgemeinheit verringert werden.
Jetzt, sofort! Ich denke, wir haben uns verstanden?«
»Warum so grob, Jacobi?«, sagte Basidius lächelnd. »Dass man bei mir
mit Drohungen nicht weit kommt, dürfte auch Ihnen bekannt sein.«
»War ich zu direkt? Das tut mir leid.« Jacobi nippte an seinem
Kaffee, dann setzte er die Tasse ab. »Aber wenn Sie mir nicht weiterhelfen, dann muss ich mein Glück bei Frau Maybaum versuchen.«
Das war mehr als deutlich. Die Immunität des Volksvertreters
schützte Basidius. Ihn zu einer Aussage zu zwingen, war ohne Druck der Medien
schwer zu bewerkstelligen, aber gerade die Medien musste Jacobi zu diesem
frühen Zeitpunkt tunlichst außen vor halten. Da war es einfacher, Ruth Maybaum
direkt die Daumenschrauben anzusetzen. Sie konnte sich nicht hinter Immunität
verschanzen.
»Der Mann heißt Kurt Schremmer«, sagte sie, ohne Basidius einen
Blick zuzuwerfen. »Er wohnt hier in Salzburg, Pauernfeindstraße 6.«
Die Pauernfeindstraße, eine Nebenstraße der Vogelweiderstraße,
befand sich nicht gerade in der feinsten Wohngegend der Mozartstadt, sondern in
Schallmoos, und auch das kleine blassgrüne Haus mit der Nummer 6 war nicht
das, was man sich gemeinhin unter dem Domizil eines erfolgreichen Autors und
Journalisten vorstellte. Dabei konnte man Kurt Schremmer durchaus erfolgreich
nennen. Noch vor der Fahrt nach Schallmoos hatte Jacobi seine Leute auf Trab
gebracht und sie über Schremmer recherchieren lassen. Jetzt legte er den Hörer
seines Autotelefons auf und suchte in der vollgeparkten Straße einen Platz für
seinen Wagen.
Er hatte Glück. Direkt vor dem Haus Nummer 6 wurde eine Lücke
frei. Ein schwarzer 5er BMW parkte aus und
fuhr langsam an ihm vorüber. Am Steuer saß ein Mann mittleren Alters. Markantes
Gesicht, schwarzer Rollkragenpulli, anthrazitgrauer Anzug.
Doch es war nicht allein die Kleidung, die Jacobi den Beruf des
Mannes erraten ließ. Priester, Mönche und Nonnen umgab eine ganz besondere
Aura. Der Mann im BMW war Priester, das stand für
Jacobi fest. Aus langjähriger Gewohnheit notierte er sich das Kennzeichen des
Wagens, stieg dann aus und läutete an der Haustür.
»Hauptmann Jacobi?«, fragte jemand von drinnen.
»Ja.« Jacobi hielt seinen Ausweis in angemessener Entfernung vor das
Guckloch.
»Ruth Maybaum und Paul Basidius haben mir Ihre Adresse gegeben. Ich
nehme an, ich spreche mit Kurt Schremmer?«
»Einen Moment!« Ein Schlüssel drehte sich zwei Mal im Schloss, und
zwei Riegel wurden zurückgeschoben.
Kurt Schremmer war mindestens eins neunzig groß, ein Kerl wie ein
Scheunentor. Der zwanzig Zentimeter kleinere Jacobi
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