Herbstfrost
doch nur, die Perspektiven ein wenig
zurechtzurücken!«
Sie blickte auf die mittlerweile verfügbaren Fotos von Schremmer,
die auf Jacobis Schreibtisch lagen, und nahm eines in die Hand. »Davon
abgesehen ist er zweifellos ein attraktiver Mann. Macht einen souveränen,
unkomplizierten Eindruck. So einer kommt bei Frauen an.«
»Habt ihr eigentlich herausgefunden, auf welchem Friedhof Schremmers
Großvater begraben liegt?«, wechselte Jacobi schleunigst das Thema.
»Ja, irgendwo in Russland«, sagte Weider. »Er ist 1944 bei Welikije
Luki gefallen und – wenn überhaupt – in einem Massengrab beerdigt worden.«
»Was?«
»Reg dich nicht gleich wieder auf!«, beschwichtigte ihn Weider. »Der
unbekannte Anrufer hat eine Chiffre benutzt. Wahrscheinlich hat er angenommen,
dass Schremmer sie zu deuten weiß, etwaige Zuhörer aber nicht.«
»Und? Kannst du sie deuten?«
»Ich denke schon. In Itzling draußen gibt es ein russisches
Emigrantenlokal namens ›Welikije Luki‹. Direkt dahinter befindet sich ein
Lagerplatz der Firma Baufritz.«
»Könnte hinkommen«, murmelte Jacobi. Kein Wort der Anerkennung für
Weider, der noch am Vorabend Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte, um
diese Daten auszuheben. Solche außergewöhnlichen Leistungen fielen unter die
Selbstverständlichkeiten, die der Chef von seinen Mitarbeitern erwartete.
»Lenz, das ist dein Job. Schremmer weiß, dass wir ihn beschatten und
abhören. Wenn er zu dieser Bar fährt, wird er versuchen, unsre Leute
abzuhängen, um den vermeintlichen Informanten nicht zu vergraulen.«
»Warum vermeintlich?«, fragte Kotek. »Du glaubst an eine Falle?«
»Natürlich ist das eine Falle. Der Anrufer wird nicht dort sein. Die
Sökos sind viel zu nervös, als dass sie das zulassen würden. Erst fliegt Cermak
auf, dann die Pleite am Reedsee. Und gestern die Verhaftung Grabowskys. Der
Mann steht schon mit einem Bein im Grab, ist also ein ziemlich unsicherer
Kantonist. Damit aber noch immer nicht genug: Sie haben erst jetzt von
Schremmers Aktivitäten erfahren. Wahrscheinlich wurde Behrens überwacht, und
erst dadurch sind sie auf den Journalisten gestoßen. Schremmer, der große
Investigator! Da heulen die Alarmsirenen. Die Forderung von hunderttausend
Schilling verrät jedenfalls ein gewisses Kalkül. Ich bin mir sicher, dass
Schremmer für eine Schlüsselinformation gegebenenfalls sogar mehr bezahlt
hätte. Dass sich der Informant auf fünfzigtausend hat drücken lassen, sollte
die Legende vom kleinen Ganoven untermauern. Also, Lenz, wie sieht demnach euer
Plan aus?«
»Die Beschatter lassen sich zum Schein abhängen –«
»Zum Schein ist gut: Schremmer fährt immerhin eine Dodge Viper mit
vierhundert PS .«
Redl zuckte mit den Schultern. »Das ist doch völlig powidl. Leo, Max
und ich fahren schon am späten Nachmittag zum ›Welikije Luki‹ und klemmen uns
unters Gerümpel am Lagerplatz.«
»Gut. Passt trotzdem auf, dass die Lederjacken nicht vor euch dort
sind. Sie werden bewaffnet sein, aber lasst euch auf nichts ein. Und wenn die
Aktion halbwegs glimpflich verlaufen ist, fragt ihr Schremmer sofort nach der
ominösen Marlene und nach dieser ägyptischen Firma.«
»Nicht nach einer ägyptischen Firma. Nach einer Firma, die ihre
Wurzeln in Ägypten hat«, präzisierte Kotek.
»Richtig. Und während Schremmer später in Itzling ist, wirst du
seine Wohnung filzen. Hinter einem Kumpf-Bild im Arbeitszimmer befindet sich
vermutlich ein Wandsafe. Und schau dir auch die Hausbar hinter dem Bücherbord
genau an.«
»Immer diese krummen Touren! Muss das denn sein?«
»Es muss! Du kannst dir ja im Nachhinein einen Haussuchungsbefehl
besorgen, wenn es dein Gewissen beruhigt. Heute wirst du ihn von der Zehentner
aber sicher nicht mehr bekommen.«
»Und welchen Grund soll ich angeben? Zurückhalten von Beweismaterial
– wie bei der Abhörgenehmigung, oder was?«
»Warum nicht? Klingt doch einleuchtend.«
»Du weißt aber, dass eine Abhörgenehmigung und ein
Haussuchungsbefehl zwei Paar Stiefel sind. Für eine behördlich genehmigte
Haussuchung müssen dringende Verdachtsmomente auf eine schwere Verfehlung
vorliegen.«
»Oder es muss um Leben und Tod gehen. Da passt es doch gut, dass
Schremmers Leben bedroht ist. Wir müssen ihn schützen – auch gegen seinen
Willen, und dazu brauchen wir die nötigen Infos.«
»Also doch wieder Gefahr im Verzug?«
Jacobi nickte. »Darauf wird es wohl hinauslaufen.« Dann sagte er
etwas leiser zu Kotek: »Gehst du
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