Herbstfrost
da dieser
seltsame Brief: »Niemand wird mich vermissen, am allerwenigsten meine Kinder.«
Die Worte passten zur Logik der Erwachsenen, aber alles zusammen
passte nicht in das Denkschema der Mauterndorfer Kinder. Warum hätte sich Opa
Callaballa umbringen sollen? Er wartete jeden Tag auf den Besuch seiner fünf
jungen Freunde. Sie berichteten ihm von ihrer Welt, er erzählte ihnen Witze
oder lustige Anekdoten und freute sich über ihren kindlichen Humor. Nie vergaß
er, Berge von Gummibären und andere Leckereien für sie bereitzuhalten. Die
Eltern der argwöhnischen Kinder versuchten ihre Sprösslinge zur Räson zu
bringen und ihnen den Mund zu verbieten, schließlich bekam man nur
Schwierigkeiten, wenn man mit so obskuren Geschichten hausieren ging. Die
»obskuren Geschichten« bezogen sich im Speziellen auf drei junge Leute in
schwarzer Lederkluft. Die Kinder beharrten darauf, sie am Tag vor Callaballas
unerwartetem Freitod in seinem Haus gesehen zu haben, obwohl er doch sonst nie
Besuch von auswärts bekam.
Albin, einer der renitenten Sprösslinge, kannte den Journalisten persönlich,
denn der Kurtl Schremmer kam schon seit Jahren auf
den Bauernhof seines Vaters, wenn er sich für einige Tage ins Outback
zurückziehen wollte. Albin erzählte ihm, was ihm Kopfzerbrechen bereitete, und
fand in Kurtl einen willigen Zuhörer.
Wenig Erfolg hatte Schremmer hingegen bei seinen Recherchen
bezüglich vermisster Senioren. Hier stellten Zeitfaktor und Abgeschiedenheit
der in Frage kommenden Tatorte eine meist unüberwindliche Hürde dar. Zeugen
waren Mangelware, und festzustellen, wo die Vermissten zuletzt gesehen worden
waren, war faktisch unmöglich. Junge Männer in schwarzen Lederjacken?
Fehlanzeige! Niemand konnte sich erinnern.
Dennoch blieb für Jacobi als Resümee: Schremmer hatte effizient
ermittelt. Das musste man ihm lassen. Eine zu diesem Zweck abgestellte SOKO hätte kaum mehr Informationen zusammentragen
können. Der Journalist war der geborene Tüftler, ging mit viel Intuition an den
Fall heran. In den Sökos hatte er die Story seines Lebens gewittert und
verfolgte ihre Spur nun entsprechend ambitioniert.
Die große Pendeluhr im Herrenzimmer schlug zwei. Jacobi fröstelte –
nicht nur unter dem Eindruck des Gelesenen. Das Feuer im Kamin war erloschen.
Er stand auf, um den Aschenbecher zu leeren, und schenkte sich aus der Kanne
nach. Doch auch der Tee war längst kalt geworden.
Die letzten fünf Seiten im Schnellhefter wurden von einer
Büroklammer zusammengehalten. Es handelte sich um das sogenannte
Gedächtnisprotokoll. Angeblich von Behrens angelegt, nachdem Grabowsky auf der
Schwelle zum Jenseits in seinem Beisein sein Gewissen erleichtert hatte.
Allerdings wurde kein Wort darüber verloren, wie er ausgerechnet ans
Heiligenkreuz-Spital und an Behrens geraten war.
Die Taten Grabowskys und seiner Spießgesellen waren akribisch
aufgelistet und chronologisch geordnet worden. Ein Dutzend Morde ging allein
auf Grabowskys Konto. Struktur und Organisation der Sökos waren so beschrieben,
wie Schremmer es bereits getan hatte: Die Gamma-Kader kannten nur die Stimmen
beziehungsweise die Codes ihrer Herren. Immerhin wusste Grabowsky, wie lange
die Loge schon bestand, da er von Anfang an dabei gewesen war, zur Identität
seiner Auftraggeber konnte er trotzdem nicht den geringsten sachdienlichen
Hinweis geben.
SIEBEN
Punkt acht war Jacobis »Sechserpack« im Büro versammelt.
Kontrollinspektor Hans Weider besorgte die Koordination im Innendienst. Er war
die zentrale Anlaufstelle. Seiner Initiative verdankte die Abteilung die
hypermoderne EDV -Armierung. Als Enddreißiger
nutzte er die elektronischen Medien, EKIS und
andere Datenspeicher souveräner als so mancher Jungspund. Außerdem war er
stellvertretender Spusi-Chef, kurz: Hans Weider war das Mädchen für alles.
Abteilungsinspektor Leo Feuersang und Gruppeninspektor Max
Haberstroh waren ehemalige MEK -Beamte. Sie waren
Jacobis verlängerter Arm im Außendienst, seine verlässlichen Ermittler und
Vernehmungsspezialisten.
Leutnant Lorenz Redl vom MEK , von
seinen Freunden auch Lenz genannt, wurde von Jacobi regelmäßig zu brisanten
Fällen hinzugezogen. Trotz seiner Jugend galt er bereits als mustergültiger
Einsatzleiter, war aber ebenso als Personenschützer und Sprengstoffexperte
gefragt. Dass er zudem noch ein exzellenter Schütze und Nahkampfspezialist war,
verstand sich bei einem MEK -Mann fast von selbst.
Sein Ruf als Bodyguard hatte ihm sogar den
Weitere Kostenlose Bücher