Herbstfrost
ihr
euch die restlichen Unterlagen und die Diskette kopieren und bis morgen Abend
lesen. Max kopiert euch schon mal das Grabowsky-Protokoll, damit ihr vorweg
einen Eindruck bekommt, mit wem wir’s zu tun haben. Nach der Lektüre des
Dossiers werdet ihr alle Kopien vernichten. Alles klar?«
Er nahm einen Schluck vom Kaffee, den ihm Kotek gebracht hatte,
während die anderen ratlose Blicke wechselten.
»Und nun das Wesentlichste im Telegrammstil.«
Jacobi referierte kurz über die Sökos und ihr Programm. Weider
stellte die Frage, die nicht ausbleiben konnte: »Ist das eigentlich noch unser
Job? Die Fälle Cermak, Feldbach und Grabowsky fallen vielleicht noch in unsere
Zuständigkeit, aber bei den Dimensionen, die sich hier andeuten, müssten doch
längst Stapo und EDOK ran.«
»Mach dir nicht gleich wieder ins Hemd, Hans! Sind bereits
eingeschaltet«, knurrte Jacobi. »Seit gestern. Basidius hat Firlinger
informiert. Die Stapo war bisher ebenso ahnungslos wie wir, hat also denselben
Wissensstand und Auftrag: weiterzuermitteln, und zwar mit größtmöglicher Diskretion.
Diskretion hat äußerste Priorität. Selbst eine allfällige Chance auf
erfolgreiche Beweissicherung hat dahinter zurückzustehen. Waschhüttl wird uns
noch früh genug zurückpfeifen. Da müssen wir nicht päpstlicher sein als er und
die Flinte gleich ins Korn werfen.«
Weider hob beschwichtigend die Hände. »Is’ ja gut, Oskar. Komm
wieder runter!«
Jacobi grinste. »Weiß schon, warum du dich wehrst. Du bist
arbeitsscheu, das ist dein Problem.« Er wedelte ihm mit dem Dossier vor der
Nase herum. »Du wirst über jede Person, die hier drinnen genannt wird,
sämtliche verfügbaren Daten ausheben. Einige Namen findest du sogar in unserem
Archiv –«
»Und ich werde selbst die unwichtigste Kleinigkeit ins
Analogieprogramm einspeisen, schon klar, Oskar.«
»Hoffentlich! Und wag es ja nicht, in absehbarer Zeit ohne
signifikante Überschneidungen bei mir anzutanzen. Womit wir bei der
Arbeitsteilung wären. Wir haben uns um drei Leute zu kümmern: Schremmer,
Grabowsky und Behrens. Von Behrens müsste was zu erfahren sein. Er ist nervös.
Außerdem zweifle ich sein Copyright auf das Grabowsky-Gedächtnisprotokoll an.
Ich glaube, Schremmer hat es für ihn geschrieben. Die Frage, die zu klären ist:
Warum schiebt er Behrens als Verfasser vor?«
Jacobi breitete die Hände in der für ihn typischen Manier aus. »Ich
kann mir, ehrlich gesagt, keinen schlüssigen Reim drauf machen. Vielleicht ist
Behrens tatsächlich nur die Randfigur, als die Schremmer ihn zeichnet, aber
vielleicht soll er auch von irgendwem oder irgendetwas ablenken. Jedenfalls ist
er um den Ruf der Klinik sehr besorgt. Nach dem Besuch im HKS heute Nachmittag werden wir hoffentlich mehr
wissen.«
»Aha, du pickst dir wieder die Rosinen raus, und die harten Nüsse
wie Schremmer und Grabowsky überlässt du uns, was?« Kotek durfte sich so
lockere Sprüche erlauben.
Er schüttelte den Kopf. »Du wirst mich ins HKS begleiten, Melli. Leo und Max, ihr besucht Grabowsky in der Krankenstation der VZA und vernehmt ihn zu seinen Aussagen.« Schnell
verbesserte er sich: »Zu seinen angeblichen Aussagen.
Werden sehen, was dabei rausschaut. Ich hab das Gefühl, an dieser Beichte ist
so einiges faul, nicht nur der Protokollant. Nun zu Schremmer: Er ist, um bei
Mellis Diktion zu bleiben, die härteste Nuss von den dreien und die
Schlüsselfigur im ganzen Spiel. Ich bin überzeugt, dass er mehr über die Sökos
weiß, als er bisher preisgegeben hat. Und er rechnet nach wie vor damit,
zeitlich ein paar Längen vor uns Dumpfbacken, als die er uns gerne sehen will,
durchs Ziel zu gehen.«
»Immerhin bist du der erste Kiberer, der überhaupt was von ihm
erfahren hat«, hielt Kotek dagegen. »Statt berufsbedingter Paranoia wäre
vielleicht mal ein bisschen Dankbarkeit angebracht.«
»Dankbarkeit, meine Liebe, ist keine politische Kategorie. Das hat
einst ein Staatsmann gesagt, der es wissen musste. Schremmer hat uns nur
gezwungenermaßen einsteigen lassen. Einsteigen! Mehr nicht.«
Kotek zog in unnachahmlicher Art eine Augenbraue hoch. »Mag sein,
dass er etwas zurückhält«, räumte sie ein. »Du hast eben die Metapher vom
Wettlauf gebraucht. Vielleicht billigt er sich einfach einen kleinen Vorsprung
zu, um unsere größere Potenz auszugleichen.«
»Potenz? Mhm. Hast du dich etwa in seine Antonio-Banderas-Visage
vergafft, dass du ihn gar so vehement verteidigst?«
»Vehement? Ich erlaube mir
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