Herbstfrost
Weg nach Wien geebnet, aber der
Pinzgauer wollte Salzburg nicht verlassen – teils aus privaten Gründen, teils,
weil er sich im Referat »Delikte gegen Leib und Leben« schon mehr zu Hause fühlte
als im eigenen Korps. Was Jacobi sagte, war für ihn das Evangelium, und wenn es
darum ging, nicht akkordierte Aktionen des Chefs zu decken, so log er Kandutsch
und Waschhüttl ohne Wimpernzucken ins Gesicht.
Ein Jahr jünger als er war Inspektorin Melanie Kotek, ein
dunkelmähniger Männertraum mit Idealmaßen und Jacobis persönliche Assistentin.
Vor ihrer Polizeikarriere hatte sie als Model und Promifotografin wesentlich
besser verdient, ihre adlige Abstammung war dabei sicher nicht eben hinderlich
gewesen.
Von einem Tag auf den andern hatte sie dann beschlossen,
Polizeifotografin zu werden, doch ein Rest von Vernunft hatte sie davor
bewahrt, ihre bis dahin ausgeübten Jobs gänzlich an den Nagel zu hängen. Mit
unwiderstehlichem Charme, Hartnäckigkeit und auch ein bisschen Protektion hatte
sie sodann zielstrebig ihre Aufnahme in die Kriminalabteilung des LGK Salzburg betrieben. Mittlerweile hatte die einstige
Schulabbrecherin und Schickeria-Motte die Abendmatura gemacht und würde
demnächst für den dreijährigen Akademielehrgang freigestellt werden. Nach
dessen Abschluss stand es ihr frei, als Leutnant ans Referat 112
zurückzukehren.
Doch es war nicht nur der Job, auf den Melanie Kotek abfuhr. Sie war
auch unsterblich in den fünfzehn Jahre älteren Jacobi verliebt. Alle im Referat
wussten es, und so mancher Kollege hatte ihr – nicht ganz uneigennützig – schon
nahegelegt, die Geschmacksverirrung doch von einem Psychiater korrigieren zu
lassen.
Jacobis Trennung von Maruschka hatte dennoch nichts mit Melanie
Kotek zu tun gehabt. Im Gegenteil: Nach der Scheidung vor acht Monaten war
Jacobi zu Melanie eher auf Distanz gegangen. Er wollte so bald keine neue feste
Bindung eingehen, und für ein Gspusi war sie ihm zu schade. Wenigstens hatte er
sich das einzureden versucht, hatte dabei aber die Rechnung ohne die Wirtin
gemacht.
Im Dienst kannte er keine Berührungsängste. Da verließ er sich voll
auf Kotek und seine anderen vier. Sie waren loyal und einigermaßen resistent
gegen den Druck von oben und außen, soweit man das überhaupt von einem Menschen
sagen konnte. Nicht zufällig war das Sechserpack bei einem Durchschnittsalter
von nur achtundzwanzig Jahren das effizienteste Team von Ermittlern, das jemals
im Referat seinen Dienst getan hatte.
Man konnte die Spannung im Raum fast knistern hören, dennoch ließ
Jacobi sich nicht drängen. In aller Ruhe holte er den Schnellhefter aus seiner
speckigen Aktentasche.
»Max, kopier mir das, bitte. Für jeden ein Exemplar.« Er drückte
Haberstroh das Grabowsky-Gedächtnisprotokoll in die Hand. »Gibt’s noch
Kaffee?«, fragte er angelegentlich, als stünde nur eine öde Bahnhofsschlägerei
auf der Tagesordnung. Kotek runzelte die Stirn, ging aber kommentarlos zur
Kaffeemaschine. Die Jeans umspannte ihren knackigen Hintern wie eine zweite
Haut. Jacobi war nicht der Einzige, der ihr hinterhersah.
»Wie ihr wisst«, begann er endlich, »wurde die Bildung einer SOKO zum erweiterten Fall Cermak nicht genehmigt.
Begründung: Die Mordanschläge auf alte Menschen häuften sich zwar, konkrete
Beweise für organisierte Seniorenmorde gäbe es aber nicht. Und keine Beweise,
keine SOKO . Ein so schwerwiegender, aber
unbewiesener Verdacht könne nur allzu leicht zum medialen Bumerang fürs Referat
werden. So weit, so schlecht. Aber die Entscheidung war auch zu erwarten
gewesen. Fundierte Beweise können wir bis jetzt tatsächlich nicht beibringen,
selbst das umfangreiche Dossier von Schremmer ändert nichts daran. Sehr wohl
aber enthält es, was Kandutsch und Waschhüttl gestern eingefordert haben: jede
Menge Indizien. Indizien für die berechtigte Annahme, dass sich der Fall Cermak
zum größten Kriminalfall in unsrer jüngeren Geschichte auswachsen könnte. Eines
muss man Schremmer nämlich lassen: Er scheint eine Nase für die größten
Misthaufen in der Republik zu haben. Dementsprechend lang ist er bereits am
Ball. Im Gegensatz zu ihm sind wir bisher an die Causa Cermak mit zu wenig
Phantasie herangegangen. Wenn rauskommt, wie lange die Sökos schon ungestraft
alte und kranke Mitbürger massakrieren, dann werden uns die Medien in der Luft
zerfetzen.«
»Wer sind diese Sökos eigentlich?«, fragte Redl.
»Einen Augenblick noch, Lenz. Gleich nach dem Briefing werdet
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