Herbstfrost
er und fuhr zurück. Höchste Zeit, eine
Pause einzulegen.
Nach der ersten Kehre des steil ansteigenden Ärarweges hielt er den
Wagen an, schaltete die Scheinwerfer aus und horchte. Nein, niemand war ihm
gefolgt. Er nahm die Taschenlampe aus dem Handschuhfach, stieg aus, ging zu
einem kleinen Rinnsal neben der Kehre und spritzte sich eiskaltes Wasser ins
Gesicht.
Zurück beim Quattro hörte er den Diesel eines Geländewagens. Das
Geräusch kam von oben.
Von oben! Die Erkenntnis durchzuckte Jacobi wie ein Stromstoß. Seine
Müdigkeit war wie weggeblasen. Die Sökos-Gruppe war schneller gewesen als er
und Jutta Dietrich bereits eine Leiche!
Er verfluchte sich und seine dämliche Eitelkeit. Warum hatte er
nicht die Alpingendarmen verständigt, als der mögliche Aufenthaltsort der
Dietrich feststand? Die wären lange vor ihm oben gewesen – und auf jeden Fall
früher als der Fahrer des Geländewagens! Aber nein, er hatte das ja selbst in
die Hand nehmen müssen. Wobei er der Frage nach dem Warum besser nicht auf den
Grund ging. Der Gedanke, Sandra Hasenkopfs Aussage über Jutta Dietrich hätte
neben dem Jagdinstinkt auch andere Instinkte in ihm geweckt, war zum
Haareausreißen.
Doch für Wut und Selbstvorwürfe blieb freilich keine Zeit. Der
Geländewagen kam näher. Das charakteristische Diesel-Nageln verriet einen
Mercedes G.
Jacobi kletterte die Böschung oberhalb der Forststraße hinauf und
erreichte noch rechtzeitig den ersten Baum. Kaum hatte er sich hinter den Stamm
der Lärche geduckt, da erfassten die Scheinwerferkegel des heranrollenden
Fahrzeugs den Quattro. Im Vollmondlicht war der dunkelfarbige Mercedes G
jüngeren Baujahrs trotzdem klar zu erkennen – nicht aber das Gesicht des
Fahrers. Immerhin konnte Jacobi sehen, dass er Jagdkleidung trug und
anscheinend der einzige Insasse des Wagens war. Weit und breit keine
schwarzledernen Jünglinge!
Jacobi atmete auf und steckte die Dienstwaffe ins Futteral zurück.
Ein Förster, Jäger oder sonstiger Anrainer. Der Forstweg führte ja nicht nur
zum Jagdhaus der Fahrendts hinauf, sondern auch zu anderen Almen und diversen
Forstarbeiterdepots.
Das Kfz-Kennzeichen konnte Jacobi nicht erkennen, die
Rückscheinwerfer des Offroaders blendeten zu stark. Sekunden später bog der
schwere Wagen um die Kehre, und der Motorenlärm entfernte sich. Mit steifen
Beinen stakste Jacobi die Böschung zu seinem Quattro hinunter.
***
Das Jagdhaus befand sich auf einem Hochplateau nahe der
Waldgrenze. Die traumhafte Lage fiel Jacobi selbst bei Nacht auf. Die Hälfte
der ausgedehnten Lichtung nahm ein Weiher ein, den Schilf und Riedgras
umstanden. Der Mond spiegelte sich auf dem dunklen Wasser.
Im Haus brannte Licht. Jacobi blickte auf die Uhr am Armaturenbrett.
Drei viertel zwei. Wenn Jutta Dietrich hier und noch am Leben war, dann musste
sie ihn gehört haben.
Jacobi hielt den Quattro am Waldrand an. Die Scheinwerfer waren auf
den Weiher gerichtet und nicht aufs Haus. Bis dorthin waren es noch circa
fünfzig Meter. Er stieg aus und trat ins Scheinwerferlicht des eigenen Wagens.
»Frau Dietrich! Haben Sie keine Angst! Ich bin Hauptmann Jacobi von
der Gendarmerie Salzburg. Darf ich näher kommen?« Er hätte gar nicht schreien
müssen. Die Stille trug jedes Wort kilometerweit.
Vorläufig rührte sich nichts. Nur das Licht im Haus erlosch. Veranda
und Garagenvorplatz lagen jetzt im Schlagschatten des Vollmonds. Jacobi ging
ein paar Schritte und trat aus dem Scheinwerferlicht.
»Ich habe Sandra Hasenkopf veranlasst, Sie anzurufen. Ich muss
unbedingt mit Ihnen sprechen.«
Noch immer nichts. Er ging näher ans Haus heran und versuchte es zum
dritten Mal.
»Schremmer hat uns über alles informiert. Über fast alles. Den entscheidenden Hinweis hält er leider noch immer zurück. Den
erhoffen wir uns jetzt von Ihnen.«
Er hatte die Tür sich nicht öffnen hören, doch plötzlich blitzte
eine Stablampe auf der Veranda auf. Der Lichtkegel erfasste ihn, verharrte kurz
auf seinem Gesicht und schwenkte dann zum Wagen.
»Sind Sie allein?« Dieselbe dunkle Stimme wie am Telefon.
»Ja. Ich dachte, ich fahre noch in der Nacht hierher. Besser, ich
komme ungelegen als zu spät.«
»Legen Sie Ihren Dienstausweis und Ihre Waffe auf die Verandatreppe.
Dann treten Sie wieder ein paar Schritte zurück.«
Er tat, was sie verlangte. Jutta Dietrich klang weder übertrieben
ängstlich noch hysterisch. Sie hielt es nicht einmal für nötig, darauf
hinzuweisen, dass sie eine Pistole in der
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