Herbstfrost
Hand hielt. Wer seine Angst so gut
unter Kontrolle hatte, der musste ein mutiger Mensch sein. Aber war sie mutig?
Oder hatte sie einfach nur keine Angst?
Jetzt trat sie aus dem Schlagschatten des Hauses und ging zur
Treppe. Während sie seine Glock und den Dienstausweis aufhob, konnte Jacobi
einen Moment lang die Silhouette einer schlanken Frau mit langem dunkelblondem
Haar erkennen. Sie trug einen schwarzen Seidenschlafrock.
Sekunden später, als sie das Windlicht neben der Haustür angeknipst
hatte, sah er nicht nur die Silhouette. Der Schlafrock enthüllte mehr, als er
bedeckte. Jacobis erster Eindruck bestätigte sich: Jutta Dietrich war ein
Naturereignis. Ihr Sex-Appeal war beklemmend, nahm einem schier den Atem. Dass
Behrens dieser geballten Erotik erlegen war, wunderte ihn nicht.
»Scheint in Ordnung zu sein, der Ausweis«, sagte sie und gab ihm
Karte und Dienstpistole zurück. »Worauf warten Sie noch? Schalten Sie die
Scheinwerfer aus und kommen Sie ins Haus.«
***
Das Jagdhaus entsprach ganz den gängigen Klischees über die
Fuchsbauten der Upper Ten. Sämtliche Materialien waren vom Allerfeinsten, wohin
man auch blickte. Auch Elektrizität war vorhanden. Ein kleines Wasserkraftwerk
unweit der Lichtung liefere den Strom, erklärte Jutta Dietrich auf eine
diesbezügliche Frage.
Die erste Tür links vom Eingang führte in ein Schmuckkästchen von
einer Jagdstube. Alles war in heller Zirbe gehalten, sogar die schwere
Tramdecke. Sitzecke und Bar waren mit filigranen Schnitzereien versehen und
hatten bestimmt so viel gekostet wie ein neuer Mittelklassewagen. Auf einer
Kommode befand sich tatsächlich ein Akku mit angestecktem Mobilfunktelefon.
Als Jacobi sich wie ein nasser Sack auf eine Bank fallen ließ,
merkte Jutta Dietrich, wie müde ihr später Gast war. Spöttisch hob sie eine
Augenbraue und erinnerte ihn durch diese Geste sehr an Melanie Kotek.
»Sie kriechen ja schon auf dem Zahnfleisch, Hauptmann Jacobi. Und Sie wollen mich beschützen? Warum haben Sie nicht bis
morgen gewartet, um dann gleich mit einem ganzen Zug anzurücken?«
»Jetzt wäre ich auch so schlau. Aber weiß man das vorher? Weiter
unten ist mir ein Geländewagen begegnet. Da hab ich noch geflucht, dass ich
nicht früher losgefahren bin.«
Sie runzelte die Stirn. »Ein Geländewagen? Der ist wahrscheinlich
von der Nachbaralm runtergekommen. Ein Jäger vielleicht. Bei mir war jedenfalls
niemand. Wollen Sie was trinken? Bier, Cola, Mineralwasser? Oder was Härteres?
Enzian, Vogelbeer, Wodka, Whisky, Cognac?«
»Einen kleinen Whisky-Soda, bitte!«
Jutta Dietrich brachte ihm den gewünschten Drink. »Ich mache Ihnen
einen Vorschlag, Jacobi: Sie haben sich jetzt davon überzeugt, dass mich die
Sökos noch nicht erwischt haben. Gott sei Dank, füge ich hinzu, aber Sie
brauchen dringend eine Mütze voll Schlaf. Und, ehrlich gesagt, habe ich auch
keine Lust, Ihnen mitten in der Nacht Rede und Antwort zu stehen. Dazu ist
später immer noch Zeit. Keine Angst, ich laufe Ihnen schon nicht weg. Wüsste
außerdem nicht, warum ich das tun sollte.«
»Na ja, immerhin glaubten die Sökos, Sie erpressen zu können«, warf Jacobi
ein.
»Sie sagen ganz richtig: Sie glaubten ,
mich erpressen zu können. Konnten sie aber nicht. Ich habe mir nichts
vorzuwerfen. Jedenfalls nichts Illegales. Aber für heute sollten wir wirklich
Schluss machen. Sie brauchen den Schlaf noch nötiger als ich.«
Jacobi gab nach und ließ sich in ein Zimmer im ersten Stock führen.
»Ich schlafe gegenüber«, erklärte sie. »Aber warum sage ich Ihnen das? Selbst
wenn mir die Sökos mit Granaten auf die Bude rückten, würden Sie es
wahrscheinlich nicht merken.«
Jacobi schaffte es gerade noch, seine Oberkleidung abzulegen, dann
fiel er ins Bett und begann zu schnarchen.
ACHT
Das in Intervallen wiederkehrende penetrante Läuten eines
Telefons ließ ihn auf Raten erwachen. Erst der Blick auf die Armbanduhr brachte
ihn auf Touren. Halb zehn!
Weinerlich fluchend sprang er aus dem Bett und fuhr in Rekordtempo
in seine Hose.
Sein Katzenjammer verstärkte sich, als er Jutta Dietrich weder in
ihrem Zimmer noch in der Jagdstube oder der angrenzenden Küche fand. Schon
wollte er in die Garage hinüberrennen, um nach dem weißen Porsche zu sehen, als
ihm die wiederholten Anrufe ins Bewusstsein drangen. Er hastete zurück in die
Jagdstube.
Das konnte nur Weider gewesen sein! Während er mit Jutta Dietrichs
Mobiltelefon das Büro anrief, ging er auf die Veranda hinaus. »Was
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