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Herbstfrost

Herbstfrost

Titel: Herbstfrost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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sie keine andere Wahl, als zu
warten, bis er sich meldet.«
    »Na und? Das kann doch längst passiert sein. Sicher wird er ihr
erzählen, was sich heute abgespielt hat.«
    Jacobi schüttelte den Kopf. »Schremmer hat natürlich Angst – wie sie
jeder vernünftige Mensch in seiner Situation haben würde –, aber ich halte ihn
nicht für den Typ Mann, der sich an einer Frauenschulter ausweint. Was würde es
bringen, die Dietrich zusätzlich zu beunruhigen? Die wird ohnehin schon die
Wände ihrer Gebirgseremitage hochklettern. Aber wenn es dich vor Alpträumen
bewahrt: Morgen in aller Früh fahre ich zu ihr.«
    Aus irgendeinem Grund schien Kotek nicht begeistert zu sein. »Kann
das nicht jemand anderer machen? Die Reporter werden uns morgen wegen des
Anschlags auf Schremmer die Tür einrennen, da wirst du gebraucht.«
    »Gerade deshalb werd ich mich verziehen. Waschhüttl soll mal seinen
Pressereferenten ins Feuer schicken. Apropos Waschhüttl: Schreib doch bitte
noch heute den Bericht über den Einsatz beim ›Welikije Luki‹ und leg ihn morgen
in aller Herrgottsfrühe auf seinen Schreibtisch. Aber von Jutta Dietrich kein
Wort, verstanden? Und ich bin undercover unterwegs, ihr wisst von nichts. Lasst
Schremmer nicht aus den Augen. Am besten, das übernimmst du selbst, Melli. Aber
vergiss nicht: Conte wird ebenfalls hinter ihm her sein.« Er seufzte tief. »So,
das war’s für heute. Bin hundemüde. Werd mir noch einen Drink einschmeißen, und
dann ab in die Heia! War ganz schön was los heute. Ciao,
bella! «
    Der Kuss auf ihre Wange geriet zu einer flüchtigen Geste. Er war
noch keine drei Schritte gegangen, als sie hinter ihm herrief: »Du bist ein
verdammt schlechter Lügner, Oskar Jacobi. Weißt du das?«
    Er wandte sich um und breitete die Arme aus. »Ich habe keine Ahnung,
was du meinst.«
    ***
    Fanni Hut wiegte kummervoll den Kopf, als Jacobi nach dem Bosna
und dem Pils auch noch einen großen Schwarzen verlangte.
    »Noch immer im Einsatz, Oskar? Geh lieber schlafen. Schaust ziemlich
verboten aus.«
    Aus ihrer privaten Espressomaschine ließ sie ihm eine Tasse
Hadramaut runter. Hadramaut war im Geschmack unübertroffen und hielt den
Kreislauf stundenlang im roten Bereich.
    ***
    Eineinhalb Stunden später bog Jacobi in der Rauriser Ortschaft
Wörth nach rechts ins Seidlwinkltal ab. Niemand war ihm gefolgt. Er war von der
Autobahn und dann noch einmal von der Salzachtal-Bundesstraße abgefahren, um
sicherzugehen. Die Wirkung des Kaffees hielt nach wie vor an. Einziges Zeichen
seiner Übermüdung war das Brennen seiner Augen.
    Er sah auf die Uhr. Ein Uhr morgens. In der Nacht zuvor war er wegen
des Sökos-Dossiers nicht vor drei ins Bett gekommen. Er kurbelte ein
Seitenfenster hinunter.
    Das Seidlwinkltal war elendslang, und bis in die Kernzone des
Naturschutzgebietes war es noch ein ganzes Ende. Jacobi trat den getunten
Quattro wie ein Schinder, sodass der robuste Allradler wie ein Spuk auf dem
schmalen Asphaltband dahinflog. Trotzdem dauerte es, bis die Straße zum
Schotterweg mutierte. Bald musste der Parkplatz kommen, nach dem das allgemeine
Fahrverbot für den Nationalpark galt.
    Wieder eine sanfte Steigung. Noch eine. Und noch eine. Auf einer
flachen Hügelkuppe sah er den Parkplatz endlich vor sich, hundert Meter
dahinter stand die Fahrverbotstafel.
    Unvermittelt hielt er an, stellte den Motor ab, schaltete die
Scheinwerfer aus und lauschte bei offenem Fenster in die Nacht hinaus. Nichts!
Kein Motorengeräusch und nirgendwo ein Lichtschein.
    Er fuhr weiter. Der Schotterweg stieg jetzt steil an. Kaum ein
Weiterkommen für normale Pkws. Das Tal verengte sich zur sogenannten Klausen,
einem Durchbruch, den die Seidlwinkl-Ache in Jahrmillionen ausgewaschen hatte.
Der Quattro bewältigte das widrige Gelände locker, schnürte wie ein Offroader
bergan. Nach zwei, drei Kilometern hatte Jacobi die vorläufig letzte Steigung
überwunden, und die Klausen öffnete sich zu einem topfebenen Tal. Zwei Minuten
später rumpelte er an der Gollehen-Almhütte vorbei.
    Jetzt hieß es: aufpassen. Irgendwo da vorn links war die Abzweigung,
an welcher der Ärarweg steil in Richtung Bockkaralm hinaufführte. Ausgerechnet
jetzt legte sich die Müdigkeit wie Blei auf seine Lider. Immer öfter fielen ihm
die Augen für Sekundenbruchteile zu. Nicht einmal die Kaltluftdusche des
offenen Seitenfensters konnte das noch verhindern.
    Natürlich fuhr er an der Abzweigung vorbei. Als er seinen Fehler
nach zwei Kilometern bemerkte, wendete

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