Herbstfrost
Hauptmann schüttelte den Kopf. »Das überlasse ich lieber den
Fachleuten. Für mich sind Bilanzen spanische Dörfer. Ich weiß nur, was Weider
mir gesagt hat: Grob überschlagen haben die Sökos der AIC Auszahlungen in der Größenordnung von annähernd einer Milliarde Schilling
erspart. Was die Sökos ihren Opfern in Eigenregie abgenommen haben, ist in
dieser Schätzung natürlich nicht berücksichtigt. Jetzt muss der geheime Fond
gefunden werden, über den die Zahlungen an imaginäre AIC -Kunden
geleistet wurden. Dann haben wir die Ausgleichs- und Vergütungskasse der Sökos.
Aber die Fahnder werden sie früher oder später schon ausgraben.«
»Wenn man sich vor Augen hält, wie viel Blut an diesem Geld klebt,
dann packt einen schier das Grauen«, sagte Kandutsch ehrlich erschüttert.
Jacobi nickte.
»Dabei sind diese neunhundertfünfzig Millionen nur ein Tropfen auf
dem heißen Stein. Decken vermutlich mit Müh und Not die Kreditzinsen der AIC für die letzten fünf Jahre. Die Firma hat in diesem
Zeitraum tiefrote Zahlen geschrieben, ist zum schwarzen Schaf in einem sonst
leidlich gesunden Konzern geworden.«
»Apropos schwarzes Schaf«, knüpfte Kandutsch an. »Der Minister hat
mich gestern Abend angrufn. Eine mordsmäßige Sauerei, die sich Waschhüttl da
geleistet hat! Wollte irgendeinem Sektionschef einen Gefallen tun, als er Sie
beurlaubt hat. Na, damit ist er ganz schön auf die Nasn gfalln. Ab morgen ist
er selbst beurlaubt – auf eigenen Wunsch natürlich. Und danach darf er sich mit
jenen Peanuts befassen, die er Ihnen so dringend ans Herz gelegt hat.«
»Herr Hofrat, es wäre sehr wichtig, zu wissen, welcher Sektionschef
da interveniert hat – und warum«, hakte Jacobi sofort nach.
Kandutsch runzelte die Stirn. Das an Waschhüttl statuierte Exempel
war ihm in die Knochen gefahren, da die Beamtensolidarität hier an ihre Grenzen
gestoßen war.
»Bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es war von Sektionschef Dr. Kleiber
die Rede.«
»Und wer den Anstoß zur Intervention gab, ist nicht bekannt?
Vergessen Sie nicht, es können weitere Menschenleben von dieser Information
abhängen.«
»Am besten, Sie kontaktieren ihn selbst. Und nur damit Sie Bescheid
wissen: Die Stapo hat ihn bereits erfolglos einvernommen. Einen Sektionschef
knackt man eben nicht wie eine Walnuss – nicht einmal über die Medien. Morgen
wird man uns ohnehin die Tür einrennen, Geheimhaltung hin oder her. Die
Pressekonferenz ist für zehn Uhr angesetzt. Ich hoffe, Sie lassen mich da nicht
im Stich.«
***
Nach dem Frühstück bei Kandutsch kehrte Jacobi in die Zentrale
zurück, in der es zuging wie in einem Bienenkorb. Man hatte sogar Räume anderer
Referate für die SOKO akquiriert. Der
Informationsfluss war kaum zu bewältigen, aber Weider war ganz in seinem
Element und lief zur persönlichen Höchstform auf.
Aus fast allen Bundesländern und dem Freistaat Bayern wurden
mittlerweile Verhaftungen gemeldet. Allein in Salzburg Stadt hatte man vierzehn
Personen festgenommen, darunter auch Silvia Moospitzner und Harald Klausen, die
Kumpane Grabowskys, und Rolf Flotzinger, Gerd Bichler und Otti Sams, die am
Posten Maxglan darauf warteten, von Sarah Feldbach und Bernd Vogt identifiziert
zu werden. Alle vierzehn Personen hatten ihre Blutgruppe unter der linken
Achsel tätowiert.
Potocnik, der noch vor Kurzem die Interessen Grabowskys und
Konsorten wahrgenommen hatte, wollte von einem Mandat jetzt nichts mehr wissen.
In seiner Laufbahn hatte er schon eine Menge unappetitlicher Klienten
verteidigt: Kinderschänder, Lustmörder, Schlepper und Dealer, doch als Advokat
von Seniorenkillern Publicity zu schinden, davon nahm er im Moment Abstand. Da
sich kein renommierter Anwalt um die Vertretung dieser Irren riss, würden die
meisten von ihnen Pflichtverteidiger zugewiesen bekommen.
»Weil du Grabowsky gerade erwähnst«, knüpfte Jacobi an Weiders
Bericht an. »Seid ihr da weitergekommen?«
Weider grinste. »Ja, ja, wenn du uns nicht hättest, da würdest du
ganz schön dreinschauen, und das wiederum wäre ein ästhetisches Paradoxon. Leo
und Max haben seit Donnerstag alle Häfenbrüder verhört, die zum Zeitpunkt von
Grabowskys Ermordung auf der Krankenstation der VZA waren.«
Feuersang und Haberstroh, die Verhörspezialisten des Sechserpacks,
hatten eine Nase dafür, ob ein Häftling etwas wusste oder nicht.
»Aus fünfunddreißig Leuten haben sie fünf Typen ausgesiebt und seit
gestern pausenlos verhört. Zwischendurch haben
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