Herbstfrost
was: Wir
haben bei der Leiche eine Diskette gefunden.«
***
Dank des mäßigen Verkehrs am Sonntagmorgen waren Kotek und
Jacobi schon um halb neun im Präsidium. Auch der Kollegin saß die Müdigkeit in
den Augen, aber im Gegensatz zu Jacobi ließ sie ihr Schlafzimmerblick
unheimlich sexy wirken, und sie war trotz morgendlicher Eile wie aus dem Ei
gepellt. Letzteres konnte man von Jacobi nun wirklich nicht behaupten.
»Du hast aber auch schon besser ausgesehen, Oskar«, entfuhr es Weider
bei seinem Anblick.
»Tante Jolesch sagt: ›Alles, was ein Mann schöner ist als ein Aff’,
ist ein Luxus‹«, versuchte Jacobi seine mangelhafte Morgentoilette zu
entschuldigen.
Weider rümpfte die Nase. »Keine Angst, von dieser Art Luxus bist du
meilenweit entfernt.«
»Bei Schremmer alles in Ordnung?«, beendete Jacobi abrupt das
Geplänkel.
»Keine besonderen Vorkommnisse. Redls Leute stehen in Funkkontakt
mit uns. Und aus Ruth Maybaums Wohnung sind vergangene Nacht tatsächlich
Ausweispapiere gestohlen worden.«
»Okay. Und wie hat sich das mit Rottenstein abgespielt?«
»Der Taxifahrer hat ihn um zwei Uhr fünfundvierzig nach Hause
gebracht. Er ist der Letzte, der ihn lebend gesehen hat. Phryne hat bei Leo
Piritz übernachtet. Als wir sie benachrichtigt haben, hat sie den Tod ihres
Vaters ziemlich gefasst aufgenommen. Die Haushälterin steht dagegen noch immer
unter Schock. Heute Morgen um fünf Uhr fünfundvierzig musste sie wegen ihrer
schwachen Blase raus und sah dabei im Parterre Licht. Sie fand Rottenstein in
seinem Arbeitszimmer. Die Leiche saß vornübergebeugt am Schreibtisch.
Angesetzter Schuss durch die rechte Schläfe.«
»Schmauchspuren?«
»Ja, auch an der Schusshand. Pernauer sagt, der Tod muss sofort
eingetreten sein. Todeszeitpunkt ist drei Uhr dreißig, plus/ minus eine halbe
Stunde. Die Totenflecken waren kurz nach sechs bereits stark ausgeprägt. Am
Zeigefinger der herabhängenden rechten Hand hing die Tatwaffe, eine alte
Walther PPK . Sie ist auf Rottenstein
zugelassen. Einige Zentimeter vom Kopf entfernt stand eine halb volle Flasche
Whisky, daneben ein leeres Glas. Darunter war ein Zettel mit handgeschriebenem
Text geklemmt. Wortlaut: ›Einmal muss es zu Ende sein!‹ Die Nachricht ist nicht
signiert, das grafologische Gutachten bekommen wir morgen Nachmittag.«
»Gibt’s denn Anzeichen dafür, dass Rottenstein sich nicht selbst
erschossen hat? Oder dass der Tatort nicht identisch ist mit dem
Auffindungsort?«
»Nein, die Spurensicherung hat den Auffindungsort als Tatort
bestätigt. Bisher konnte keine Fremdeinwirkung nachgewiesen werden, aber die
endgültige Analyse steht noch aus.«
»Du hast eine Diskette erwähnt. Wo habt ihr sie gefunden?«
»Sie steckte in der linken Innentasche seiner Smokingjacke. War
durch einen Code gesichert.«
»War? Habt ihr den Code geknackt?«
»In fünf Minuten. War nicht rasend schwierig. Aber du wirst es nicht
glauben: Die Diskette enthält alles Wissenswerte über die Sökos.«
»Alles?«
»Alles, bis auf die Namen der Führungskader. Dafür aber
Organisation, Logistik, Mitglieder- und Opferkataster, sogar eine
Täter-Opfer-Zuordnung mit allen relevanten Daten und schließlich auch noch ein
umfangreiches Kontenverzeichnis. Und jetzt halt dich bitte irgendwo fest. Wenn
das alles stimmt, dann haben die Sökos in den letzten fünf Jahren insgesamt –«
Weider trat an Jacobi heran und flüsterte ihm die Anzahl der Ermordeten ins
Ohr.
Jacobi fröstelte. »Ich glaub, mir wird schlecht. Gebt mir was zu
trinken!«
Auch Melanie Kotek, die die Zahl mitbekommen hatte, war blass
geworden. Sie ging zu Jacobis Aktenschrank, griff zur Cognacflasche und nahm
einen undamenhaft großen Schluck.
»Und wie viele … wie viele Sökos waren an den Morden beteiligt?«,
fragte sie heiser, während sie die Flasche an Jacobi weiterreichte.
»Der Mitgliederkataster weist vier Beta-Sökos und an die vierzig
Gamma-Leute aus.«
»Ich nehme an, das Codewort war nicht Sökos, oder?«, fragte Jacobi.
Weider lächelte. »Nein, so plump ist der Adressant nicht
vorgegangen. Andrerseits wollte er unsre Intelligenz auch nicht allzu sehr
strapazieren. Er hat einen wichtigen Begriff aus Rottensteins Leben gewählt.«
»Etwa Whisky?«
»Das nicht gerade, aber damit liegst du gar nicht so weit daneben.
Wie wir wissen, hat Rottenstein den Tod seiner Gattin nicht verkraftet und
anschließend zu saufen begonnen. In dieser psychischen Ausnahmesituation hat er
die AIC an den Rand
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