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Herbstmilch

Herbstmilch

Titel: Herbstmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Wimschneider
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du mußt sie besser füttern, die anderen Käufer haben sich auch nicht beschwert. Da mußte er wieder abziehen.
    Eines Tages mußte ich fortgehen und ein fremdes Haus putzen helfen, das ein Maurer gekauft hatte und das er selbst instand setzte. In der oberen Stube stand ein Bett, dort schlief der Mann nachts. Wie ich da den Schutt und Schmutz wegräumte, fing der Mann an, mich zu loben, und bald kam er auf mich zu, warf mich aufs Bett und versuchte mich zu küssen. Ich schimpfte ihn und wehrte mich, aber er wurde immer brutaler. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen, stieß ihn mit den Füßen in den Bauch und ins Gesicht, er wollte sich auf mich legen, meine Kleider waren verschoben, die Haare zerrauft, aber den Kampf habe ich gewonnen, und ich ging gleich heim. Als seine Frau mich am nächsten Tag wieder holen wollte, ließ mich der Vater nicht mehr hingehen. Die Frau gab mir eine Schürze für die Arbeit.
    Gewöhnlich gingen vier Kinder zugleich zur Schule, in einem Jahr aber waren es fünf. Doch wir hatten für den Gottesdienst nur vier Lob Gottes. Ich konnte sowieso nicht oft zum Schulgottesdienst gehen, also gab mir der Vater ein anderes Gebetbuch mit. Einmal schaute der Herr Pfarrer alle Kinder durch, ob sie auch ihr Gebet- und Gesangbuch dabeihatten. Er kam zu mir und erkannte sofort, daß ich ein anderes, ein kleineres Buch hatte. Ich mußte zu ihm kommen, er sah es an und sagte, ach, da schau her, von der allerseligsten Jungfrau Maria hat die ein Buch dabei, warf das Buch weit in den Kirchenraum und schlug mich mit seinen schweren Händen links und rechts so ins Gesicht, daß mir der Hut vom Kopf flog. Alle Kinder haben es gesehen.
    Ich kam ganz verweint nach Hause und erzählte alles dem Vater. Da sagte der Vater, das lasse ich mir denn doch nicht gefallen, und ging zur Polizei. Der Polizist ging nun zu den Kindern und befragte sie. Die Eltern, die Pfarrersfreunde waren, verboten ihren Kindern die Aussage, so hatten die eben nichts gesehen. Aber es waren auch genug ehrliche Eltern, deren Kinder die Wahrheit sagten. Zu einer Gerichtsverhandlung ließ es der Pfarrer nicht kommen, aber er mußte 30 Mark Strafe bezahlen. Darauf hat er an den nächsten zwei Sonntagen in der Predigt geschrien, als wäre eine Kirchenverfolgung. Manche Weiber schauten mich in der Kirche deswegen lange an, und ich schämte mich sehr. Mein Vater saß mit unbewegtem Gesicht in seiner Bank. Ich war ihm dankbar, weil er mir geholfen hat. Er war immer ein guter Vater. Der Pfarrer war ein hartherziger Mann, der auch die anderen Kinder oft mit schweren Holzscheiten schlug, die zum Heizen des Ofens in der Schule lagen.

    *

    Die älteren zwei Brüder waren im Dienst. Sie brachten ganze Rucksäcke mit schmutziger und zerrissener Wäsche nach Hause und sagten zu mir, das hier hole ich mir am nächsten Sonntag, das hier während der Woche, und das hier brauche ich gleich. So arbeitete ich immer auch den ganzen Sonntag und bis um zehn Uhr abends. Ich wünschte mir, auch einmal früh zu Bett gehen zu können wie die anderen, aber da war nicht dran zu denken. Am nächsten Sonntag kam auch schon der nächste Haufen Wäsche, und wenn ich nicht alles fertig hatte, beschimpften mich die Brüder. Oft stand ich in der Ecke, und ein jeder kam her und schlug mich ins Gesicht. Ich konnte doch nichts dafür, es kamen Regentage, und die Wäsche trocknete nicht so schnell. Auch die Schulkinder wurden naß, und ihr Zeug sollte auch trocknen, und die Stube war als Trockenraum zu klein.
    Der Lohn der Brüder war klein, in der Woche eine Mark, im Sommer eine Mark fünfzig. Der Bauer mit der Mühle schimpfte ohnehin, daß soviel für Essen aufgeht. Dabei hat gerade der beim Mahlen immer ein wenig für sich behalten, das war dann die Brotsuppe jeden Tag.
    Früher, wenn ein Knecht oder eine Magd beim Bauern einstand, war es Brauch, daß jemand vom Haus mitging. Bei uns ging immer der Vater mit, so auch beim Michl. Es war Lichtmeß, der zweite Februar. Zwei Hemden, zwei Paar Socken, zwei Hosen, ein Paar Holzschuhe und das, was er am Körper trug, war alles, was der Michl hatte. Eine Stunde mußten die beiden zu Fuß gehen. Als sie in die Nähe des Hofs kamen, war der Vater so still. Michl schaute den Vater an, da sah er, daß der Vater weinte. Michl weinte auch. Was wird sich der Vater gedacht haben! Der Bub war noch recht klein, und kräftig war er auch nicht genug. Bei dem Haufen Kinder war das Futter immer zuwenig, da waren alle hager. Wie der Vater dann

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