Herbstmilch
die Bauern hielten nicht viel von ihm. Erst nach dem Reichstagsbrand, da waren viele froh, daß er uns vor den Kommunisten gerettet hat. Zu sagen, du bist ein Kommunist, war eine der schwersten Beleidigungen und ist es heute noch.
Nach der Machtübernahme war dann eine Wahl, da sollte man mit Ja stimmen, und am Eingang zum Wahllokal standen SA -Männer in ihrer Uniform und hefteten einem ein Ja aus Blech an. Der Onkel wurde, da er so gehbehindert war, zur Wahl gefahren. Er war bekannt als ein Schwarzer. Ein Nachbar schaute ihm zu, wie er den Wahlzettel ins Kuvert stecken wollte. Der Onkel hatte ein Nervenleiden und zitterte sehr mit der rechten Hand, da sagte dieser Nachbar, na, geht der schwarze Frack wieder nicht hinein? Die SA stand dabei. Es ging noch mal gut, es war aber eine gefährliche Bedrohung.
Auch bei uns wurden einige Leute nach Dachau gebracht, es wurde einiges geflüstert, aber was Gewisses wußte niemand. Da hat man auch den Stadtpfarrer in Schutzhaft genommen, und wir merkten, daß ein anderer Wind geht. Die Bettelmänner verschwanden, und die Bauern, die viele Schulden hatten, aber mitmachten, denen wurde nicht mehr versteigert.
Es kamen auch welche zurück aus Dachau, aber die sagten nichts aus. Alberts Bruder, der drei Jahre älter und in Neuötting so ein Sozialdemokrat war, den haben sie im März 1933 nach Dachau gebracht, und weil der ein halbes Jahr dort war, habe ich später auch davon gehört.
Am 1 . Mai war nun ein Feiertag. Der Onkel ließ mich nicht aufs Feld, um den Kartoffelacker herzurichten, denn die Arbeit war verboten, und einige Bauern wurden bestraft, weil sie gearbeitet hatten. So konnte ich den Aufmarsch in der Stadt anschauen, Musik hat mir ja immer so gefallen. Da marschierten sie durch die Stadt in Uniform, und beim Horst-Wessel- und Deutschlandlied mußten alle die Hand hochstrecken, aber ich tat es nicht. Ein Mann kam auf mich zu und gebot mir, die Hand aufzuheben, aber ich behauptete einfach, daß mir der Arm so weh tut. Da konnte er mir nichts tun. Es kam mir nämlich recht lächerlich vor, wie sich manche groß aufführten, die ich doch vom gewöhnlichen Leben her kannte. Mir haben diese Parteileute keine Angst machen können, ich habe mit ihnen ganz normal geredet, da wirkte ihre Uniform nicht, und die merkten auch, daß ich ja nur ein ganz einfaches Mädchen war, und gaben es auf.
Als Albert im Krieg war, ging ich einfach ins Wehrbezirkskommando in der Stadt, damit er Ernteurlaub bekam. Ein Nachbar war da drinnen, ein Major, zu dem bin ich gegangen. Da wurde ein Gesuch gemacht, und mein Mann konnte kommen.
In allen Häusern hing nun schon ein Hitlerbild, dafür haben manche das Kreuz im Herrgottswinkel weggetan, bei uns nicht. Wir haben auch kein weißes Tuch aus dem Fenster gehängt, als später die Amerikaner mit den Panzern am Haus vorbeifuhren. Bei uns wurde und wird immer ein gemeinsames Tischgebet gesprochen, und dazu brauchten wir kein Führerbild.
Der Bezirkstierarzt hatte eine jüdische Frau, die hat ihr Mann über diese Zeit hinübergerettet. Ein jüdischer Kaufmann war in der Stadt, bei dem gab es damals schon Zugaben beim Einkauf, dann hat man ihm das Geschäft genommen. Was aus dem Kaufmann geworden ist, weiß ich nicht. Dem Neuen dann hat das kein Glück gebracht, denn unrecht Gut gedeiht nicht, er ist nun längst tot und sein Name verschwunden. Es wurde viel Unrecht getan zu dieser Zeit.
Einige Männer wurden sterilisiert wegen Erbkrankheit, wie es hieß, die hatten so eine gelbliche Gesichtsfarbe. Am bekanntesten war ein Milchkontrolleur, der bei den Bauern reihum den Milchertrag der Kühe messen mußte. Die Bauern nannten ihn in Anlehnung an einen kastrierten Stier den Milchochs, und dabei blieb es. Der Milchochs aber hat doch seine Fähigkeit nicht ganz verloren, denn meine auswärtsbeinige Magd, die Pepi, tat sich manchmal mit ihm zusammen. So findet jeder Hafen seinen Deckel.
Der Stützpunktleiter der Partei bei uns hatte ein Bauernanwesen, einen Tag Dreschen, der bildete sich viel auf seine Uniform und seinen Posten ein. Als das große Erntedankfest in Bückeburg gefeiert wurde, ist auch er hingefahren. Weil er aber kein Geld hatte, in der Wirtschaft war er grad nicht der Tüchtigste, hat er vorher die große Eiche abgehauen, die an der Straßengabelung stand. Das war eine sehr große Eiche an der Omnibushaltestelle, und alle Leute haben das bedauert. Auch das Wegkreuz in seinem Obstgarten an der Straße hat er weggetan. Da haben die Leute
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