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Herbstmilch

Herbstmilch

Titel: Herbstmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Wimschneider
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ein Mann als Betriebshelfer kommen. Gut, sagte ich, wenn nicht, bin ich übermorgen wieder da. Er schnappte nach Luft und war froh, mich nicht mehr zu sehen. Tatsächlich kam dann ein Mann zu mir auf unbestimmte Zeit zur Arbeit.

    *

    Am 23 . Juli 1941 kam das Kind, ein Mädchen, im Kreiskrankenhaus zur Welt. Mein Mann war in Südwestfrankreich, und ich telegrafierte ihm. Es war üblich, daß es dann Urlaub gab. Aber man wollte ihm keinen geben, weil sein Truppenteil nach Rußland verlegt werden sollte. Er hat sich den Urlaub dann doch an höherer Stelle ertrotzt und kam noch einmal kurz heim. Im Oktober war er dann schon bei Leningrad.
    Mit der Taufe hatte ich im Krankenhaus auf ihn warten wollen. Da meinten die Ordensschwestern im Krankenhaus, ich will mein Kind nicht taufen lassen, weil in der Nazizeit das nicht erwünscht war und die Dreihundertprozentigen das auch nicht taten. Aber das waren nur wenige in der Stadt, die hatten ohnehin keinen Glauben. Und weil die Schwestern immerzu benzten und mein armes Heidenkind bedauerten, konnte ich auf meinen Mann nicht so lange warten, so war er bei der Taufe nicht dabei.
    Das Kind hatte genug zu trinken. Ich hatte so viel Milch, daß mir die Milch durchs Kleid tropfte und die Schürzentasche vollief. Da gab mir die Hebamme eine Milchpumpe, und so bekam unsere Katze die überflüssige Milch. Neun Monate stillte ich das Kind, es wurde ein dicker Brocken.
    Die Onkel und auch die Tante hatten das Kind gerne, die Schwiegermutter interessierte es nicht. Am liebsten hatte es der Onkel Albert. Wenn die Milchflasche hergerichtet war, fütterte er es gerne, aber er zitterte mit den Händen sehr stark dabei. So hat er dem Kind das Fläschchen immer wieder aus dem Mund herausgerissen, bis sich das Kind das Fläschchen selbst halten konnte. Es war ein liebes, armes Kind.
    Wäsche hatte ich wenig fürs Kind, das Bettchen war noch von meiner Heimat, die Windeln aus alten Tüchern. Geld hatte ich gar keins. Auch früher hatte ich kein Geld. Mein Heiratsgut waren 1400 Mark, davon wurde das Brautkleid und verschiedenes gekauft, 1200 Mark blieben für die gemeinsamen Anschaffungen. Mein Mann hatte sich von den drei Mark Wochenlohn beim Bauern nicht viel ersparen können. Ein Paar Schuhe waren damals vor Kriegsausbruch ein Monatslohn.
    Wir hatten das staatliche Ehestandsdarlehen beantragt, das waren 1000 Mark. Damit kauften wir einen Küchenherd, einen Kachelofen für die Stube, eine Mähmaschine, eine Sämaschine, eine Futterschneidmaschine und einen Motor mit Kreissäge. Das war ein gewaltiger Fortschritt, aber das Geld war damit ausgegeben. Der Onkel hatte sich das Wirtschaftsrecht für zwei Jahre noch ausbedungen und legte das Geld auf die Sparkasse zur Alterssicherung, da ging es dann verloren.
    Ich hatte zwölf Pfennig im Geldbeutel und brauchte einen Schnuller fürs Kind. Nach langem Überlegen verkaufte ich heimlich ein Stück Rauchfleisch, da langte es für den Schnuller, und auch für mich blieb etwas übrig.
    Wenn ich von der Arbeit hereinkam, hätte ich das Kindlein gerne an mich gedrückt und es liebgehabt. Aber die Weiber ließen mich nicht zu ihm. Sie machten die Küchentür zu, und ich durfte nichts sagen, damit das Kind nicht um mich weint. Durch die Türspalte sah ich das Kindlein am kalten Fußboden liegen, es war eingeschlafen, hatte kein Kissen fürs Köpfchen, nichts. Mir tat das Herz so weh, ich wollte mein Kind auch im Bettchen schlafen sehen. Ich mußte aber immer arbeiten und wurde gleich wieder hinausgeschickt.
    Endlich kam mein Mann in Urlaub, er war in Rußland verwundet worden. Da lernte er das Kindlein kennen und das Kindlein ihn. Am Morgen, als es erwachte, da war nun nicht ich, sondern der Papa neben ihm, da weinte das Kind dicke Tränen und mußte sich erst an ihn gewöhnen. Das dauerte nicht lange. Aber der Urlaub ging zu Ende, und der Papa mußte wieder fort.
    Einmal kam der Polizist bei seinem Rundgang zu uns herein. Weil er nun eine Uniform trug, lief ihm das Kind zu, hängte sich an seine Hosenbeine und rief immer Papa. Es kannte den Papa ja nur von der Uniform.
    Weil nun das Kind schon laufen konnte, wollte es den alten Leuten immer wieder entwischen. Da banden sie es mit einem Strick am Tischbein an. Es tat mir im Herzen weh.
    Wie viele Nächte waren es, wo ich überhaupt nicht ins Bett gekommen bin! Wenn ich mit eigenen Augen jeden Tag sah, wie mein erstes, liebes kleines Kind mit einem Strick um den Bauch tagsüber am Tischfuß angebunden war und

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