Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
dafür, dass ich ihn immer so bald wiedersehen will.
Mein Herz hat andere Vorlieben, als mein Verstand ihm vorschreiben will. Es ist
einfach ein eigensinniges Ding. Genau wie ich.
In wenigen
Monaten werde ich Augusta von Oranienbaum sein und mit meinem Mann Friedrich in
unserem wunderbaren neuen Haus leben, das Vater für uns in Groß-Lichterfelde bauen
lässt. Dann endlich sind wir für immer vereint. Voll Ungeduld und freudiger Erwartung
sehe ich dieser Zeit entgegen. Wer weiß, ob Mutter am Ende überhaupt recht behält.
Warum sollte Friedrich nicht glücklich sein, mich jeden Tag um sich zu haben? Er
liebt mich ebenso sehr wie ich ihn. Da bin ich sicher.
Ach, liebe,
dumme Augusta, fort mit den ganzen Zweifeln, für die es keinen einzigen Grund gibt.
Es wird am Wetter liegen, dass ich heute ein wenig melancholisch bin. Seit Tagen
regnet es unaufhörlich, und der Himmel hängt voller tintenschwarzer Wolken.
In ein paar
Stunden wird meine liebe Freundin Sophie zum Tee bei mir sein. Ohne Zweifel wird
sich meine trübe Stimmung dann aufhellen, denn ihre Besuche sind selten und somit
kostbar geworden, seit sie verheiratet ist.
Es geht! Hurra, hurra!
Ich habe
es tatsächlich geschafft, eine ganze Seite von Augustas Tagebuch zu lesen. Okay,
es hat drei Stunden gedauert. Das war vielleicht ein Aufwand! Aber es hat
sich gelohnt. Jedes Wort ergibt Sinn, und ich habe bereits nach wenigen Sätzen erkannt,
dass die süße Augusta von Liesen meine Seelenverwandte ist. Sie hockt bei trübem
Wetter in ihrem Zimmer (ob es vielleicht das ist, in dem ich heute wohne?) und hat
Sehnsucht nach ihrem Liebsten, der laufend beschäftigt zu sein scheint. Den Wirrwarr
von Herz und Verstand, den sie schildert, kenne ich nur zu gut. Mir ist klar, dass
es gar nichts bringt, wenn ich versuche, Basti jeden Tag zu sehen. Er ist nun mal
viel beschäftigt. Und ich weiß, seine Abwesenheit ändert nichts an unserer Liebe.
Was allerdings nicht heißt, dass ich trotzdem sehr gern, sehr viel mehr mit ihm
zusammen wäre.
Also, Augusta ist jedenfalls klasse. Ich würde am liebsten
noch mehr von ihren Einträgen lesen, aber meine Augen brennen, ich bin hundemüde
und muss morgen früh raus.
*
Das lang anhaltende Klingeln des
Telefons holt mich aus dem Schlaf.
Wie spät
ist es? Der Dunkelheit nach zu urteilen, muss es Nacht oder ganz früher Morgen sein.
Ich liege quer über dem Bett in denselben Klamotten – gemütliche Hose und Schlabberpulli
–, in denen ich gestern den ganzen Tag herumgelaufen bin, neben mir das aufgeschlagene
Tagebuch.
Das schrille
Klingeln bricht ab. Langsam fällt mir ein, dass ich mich gestern, nachdem ich das
Tagebuch gelesen hatte, nur kurz ausstrecken, mir dann meinen Schlafanzug anziehen
und sofort ins Bett gehen wollte. Ich war wohl zu sehr erschöpft.
Jetzt fängt
mein Handy an zu flöten. Das liegt zum Glück griffbereit auf meinem Nachttisch.
»Ja?«, brumme
ich und reibe mir die verschlafenen Augen.
»Rosa«,
höre ich Margrets Stimme, die ziemlich ungeduldig klingt. »Wo steckst du denn?«
»Ich bin
gerade aufgewacht«, antworte ich und gähne herzhaft.
»Wie bitte?«
Was ist
denn heute mit Margret los? Sie weckt mich sonst nie und schon gar nicht derart
ungeduldig.
»Hast du
mal auf die Uhr geguckt?«
»Nö.« Mir
dämmert, dass ich verschlafen haben muss.
»Dann mach
ganz schnell, dass du zu uns in die Werkstatt kommst. Weißt du, wer hier gleich
vor der Tür steht?«
»Ähm …«
»Sie!«
Ich weiß
genau, wen Margret meint, und das, obwohl ich noch gar nicht ganz wach bin. »Die
wollte doch erst am Freitag kommen!«
»Tut sie aber nicht«, schimpft Margret. »Zum Glück hat sie
wenigstens vorher angerufen. Hast du die Zeichnungen?«
»Ja, na klar.«
Jetzt bin ich hellwach, springe aus dem Bett, dann in die
Dusche, in meine Klamotten. Heute kein Make-up. Schnell meine Zeichenmappe unter
den Arm geklemmt und ab in die U-Bahn.
Wenn meine überdrehte Kundin in die Werkstatt kommt und ich
bin nicht da, ist mit Sicherheit der Auftrag weg. Und das will ich nicht riskieren.
Es ist schließlich nicht selbstverständlich, dass Frauen bei uns im Laden auftauchen
und Kleider bestellen. Noch dazu Damen, die sagen, dass Geld keine Rolle spielt.
Frau Hofmann
und ich kommen gleichzeitig an. Wobei sie recht entspannt zu sein scheint, während
ich total abgehetzt bin. Margret guckt ein wenig strafend, aber um ihre Lippen spielt
bereits wieder ein kleines Lächeln.
Ich japse
wie ein Hund, der ein
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