Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
deinem Basti kommst.«
Ist Undankbarkeit
auch ein Schwangerschaftssymptom?
Na, mich
soll es nicht stören. Schließlich ging es ihr gestern den ganzen Tag nicht gut.
Da kann man mal ein Auge zudrücken. Am liebsten würde ich sie ausfragen. Seit wann
sie es weiß. Und ob sie sich einen Jungen oder ein Mädchen wünschen. Und so weiter.
Leider ist sie nicht gerade gesprächig. Außerdem will ich die Zeit mit Basti nutzen.
Morgen muss er ganz früh ins Krankenhaus und dann sehe ich ihn wieder ein paar Tage
nicht.
Vicki und
ich haben die ganze Woche Zeit zu quatschen.
Basti und
ich schmieden große Pläne, was wir alles unternehmen können. Letztlich landen wir
– ich mit Augustas Tagebuch, er mit einem Stapel irgendwelcher Fachzeitschriften
– im Britzer Garten. Ganz ohne Arbeit geht es bei meinem Schatz also auch in der
Freizeit nicht. Während er seufzend irgendwelche Notizen macht, flegele ich mich
auf unsere Picknickdecke und lese in meinem Lieblingsschmöker.
26. September
1912
Ich habe noch nie in meinem
Leben hinter einer Tür gestanden und gelauscht – bis gestern (Super,
Augusta!) . Mutter sagt, das gehört sich nicht (War klar,
oder?) . Mag sein. Ich weiß jedoch einen viel besseren Grund, warum Lauschen
falsch ist. Man erfährt Dinge, die man eigentlich gar nicht wissen möchte (Auweia!) .
Gestern
Abend wollte ich ein Glas Milch mit Honig trinken, weil ich nicht schlafen konnte.
Ich glaubte, Änni sei schon im Bett und wollte sie nicht stören. Schließlich war
sie dreimal wegen meiner Aussteuer von Mutter zur Weißnäherin geschickt worden.
Sie tat mir leid. Bestimmt schmerzten ihr deswegen die Füße. Also lief ich selbst
zur Küche. Es brannte noch Licht und als ich näher kam, hörte ich, wie Änni und
Elsi mit der Köchin sprachen. Durch einen winzigen Spalt sah ich, dass sie sich
Tee gemacht hatten und ein paar Brotscheiben dazu aßen. Eben wollte ich die Tür
öffnen und hineingehen, als ich Änni sagen hörte: »… und in Wirklichkeit ist er
ganz verliebt in mich. Er hasst sie. Das hat er mir selbst gesagt.«
»Das träumst
du nur, du närrische Person. Er nutzt dich aus und du bist dumm, dass du ihm glaubst,
er würde dich heiraten und nicht das Fräulein Augusta.«
Ich wollte,
aber ich konnte nicht mehr hineingehen. Wie erstarrt stand ich und lauschte, wie
die Änni frech behauptete, mein Friedrich würde sie lieben und nicht mich.
»Und soll
ich euch beweisen, dass es stimmt?«
Ich sah,
wie Elsi und die Köchin nickten, während Änni zufrieden lächelte.
»Er hat auf der rechten Seite der Brust eine lange Narbe
bis zur Hüfte. Von einem Duell!«
Elsi kreischte auf. Ȁnni, du hast ihn ohne Kleidung gesehen?
Du hast doch nicht etwa mit ihm …«
Mehr erfuhr ich nicht, denn ich floh. Ich hätte am liebsten
ebenso laut geschrien wie Elsi. Aber kein Laut kam aus meiner Kehle. Ich kann es
noch immer nicht fassen, was ich gehört habe. Mein Verstand weigert sich. Nur mein
Herz tut weh. Ist es klüger und versteht, was geschieht? Meine Augen brennen, denn
ich fand keinen Schlaf in dieser Nacht.
Morgens beim Frühstück mit Mutter deutete ich an, was ich
in der Nacht gehört hatte. Sie schalt mich, statt mich zu trösten, und am liebsten
wäre ich wieder davongelaufen. Aber ich nahm mich zusammen und hörte ihr zu. Mir
ist klar, dass ich noch viel lernen muss. Und meine Mutter weiß einfach alles.
»Nun, meine liebe Augusta, es ist an der Zeit, dass ich mit
dir über einige Dinge spreche, die einer verheirateten Frau leider nicht erspart
bleiben.«
Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen schoss, als sie
mir etwas über männliche Bedürfnisse und die ehelichen Pflichten einer Frau erzählte.
Ich verstand nicht einmal die Hälfte ihrer wortreichen, blumigen und verwirrenden
Schilderungen. Allein, dass Männer diese eine für Frauen eher schreckliche Sache
sehr gern tun und dass sie deshalb nicht bis zur Eheschließung darauf warten können.
Und aus diesem Grund hat jeder Mann vor der Heirat sein kleines Geheimnis.
Wie entsetzlich,
dass ausgerechnet Änni das kleine Geheimnis von Friedrich sein muss. Ich finde es
falsch und verstehe es nicht. Und warum muss er ihr sagen, dass er mich hasst? Wie
soll ich ihm bei unserem nächsten Treffen nur gegenübertreten?
Ich glaube,
Änni lügt. Sie scheint mir eine recht verschlagene Person zu sein.
»Ich habe es doch gewusst!« Wütend
klappe ich das Buch zu.
»Was denn?«
»Dieser
blöde Friedrich Kastanienbaum, der
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