Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Ich will heulen und schreien und mich in irgendeinem Loch verstecken,
aber Margret (ihr zweiter Vorname scheint Schraubzwinge zu sein) hält mich fest
und drückt mir den Hörer ans Ohr.
»Sprich!
Mit! Ihm!« befiehlt sie, und Jola nickt heftig dazu.
»Ist ja
gut«, zische ich den beiden wütend zu. Doch sie hören mich nicht mehr. Sie gehen
aus der Werkstatt, um mich ungestört telefonieren zu lassen. Und stellen sich direkt
vor unser Schaufenster und beobachten mich.
Ich muss
plötzlich an Augusta denken. Mit Sicherheit versucht sie ihre Unsicherheit und ihre
verletzten Gefühle zu verbergen, wenn sie Friedrich wiedersieht. Obwohl sie sein
Geheimnis kennt und eigentlich fix und fertig ist. Ich stelle sie mir vor, wie sie
schmal und aufrecht (Korsett sei Dank!) auf einem Stuhl sitzt – mit hübsch frisierten
Haaren und in einem hochgeschlossenen langen Kleid, in den Händen ein Buch oder
eine Stickarbeit. Jetzt betritt ihr Verlobter den Raum. Sie weiß, dass er sie hintergeht,
doch sie lächelt. Wenn sie eins von ihrer Mutter gelernt hat, dann das Gesicht zu
wahren, egal, wie es in ihr aussieht. Nur eine leichte Röte verrät ihre Erregung.
»Komm herein, mein lieber Friedrich. Bitte erzähle mir, wie dein Tag heute war.«
Sie ist hinreißend. In diesem Augenblick wird ihm endlich klar, dass er diese wunderbare
Frau liebt und keine andere.
Himmel!
Rosa, bist du kitschig!
Kann sein,
aber ich glaube, die gute, alte preußische Erziehung hatte sogar ihre Vorteile.
Manchmal ist es nämlich gar nicht schlecht, wenn man sich beherrschen kann.
»Hey, Rosa«,
sagt der Verräter und seine Stimme klingt liebevoll und warm wie immer. »Habe ich
mein Handy bei dir gelassen? Ich kann es nirgendwo finden.«
Ach so,
nur darum geht es ihm. Er interessiert sich nur für das doofe iPhone, nicht für
mich.
Lass dir
nichts anmerken, Rosa. Du hast es im Griff. Du kannst genauso sein wie Augusta.
Die Ruhe und Güte selbst. Jawohl!
»JahastduundichhabeauchschonmitdeinerTochtertelefoniertundherzlichenDankdugemeinerKerldassichessoerfahrenmussteundwenndumichjetztverlassenwillstdannsagesgleichoderneinvielbesseristwennichdichjetztverlassedennichkanndirsowiesoniewiedervertrauenunderzählmirnichts-dennichglaubedirabsolutkeinWortmehr.«
So viel
zum Thema Anmut und Selbstbeherrschung! Erschöpft muss ich Luft holen.
»Rosa, ich
bin sofort bei dir.« Dann macht es klick in der Leitung und weg ist er.
Damit habe
ich nicht gerechnet. Mit Ausflüchten, Entschuldigungen, Beteuerungen. Nicht damit,
dass er einfach von seiner Arbeit wegläuft, um mit mir zu reden.
Du bist
ihm wichtig, Rosa! Jetzt reiß dich zusammen und höre dir an, was er zu sagen hat.
Hat das
Augusta zu mir gesagt? Oder bin ich es selbst, die hofft und wünscht, dass es alles
nur ein Irrtum ist und ein ganz anderer Sebastian Andrees der Vater der kleinen
Juli ist?
*
»Sie ist sieben«, sagt Basti.
›Schon ganz
schön groß. Da bist du aber recht jung Vater geworden.‹
»Sie lebt
mit ihrer Mutter in Hamburg.«
›Ach, deshalb
sind alle »Tagungen«, die du besuchst, immer dort.‹
»Wir haben
uns getrennt, als Juli zwei war.«
›Das kann
jeder sagen.‹
»Ich versuche,
meine Tochter so oft wie möglich zu sehen. Zum Glück verstehen Nadja und ich uns
wieder gut.«
›So gut,
dass du mich ihretwegen belügen musstest?‹
»Die Kleine
kommt nächsten Monat nach Berlin. Meine Eltern wollen sie endlich mal wiedersehen.
Rosa, spätestens dann hätte ich dir sowieso alles erzählt.«
›Mmh, ja
klar.‹
»Rosa, jetzt
sag doch endlich was«, bittet Basti und nimmt zaghaft meine Hand. Ich sitze ihm
gegenüber. Blutleer wie ein Zombie. »Es … es war blöd von mir. Ich werde versuchen,
dir alles zu erklären.«
Ich weiß
nicht, warum, aber dieser Satz macht mich wütend. Schlagartig kehre ich von den
Untoten zurück und bin wieder ganz lebendig. Das Blut pulsiert in meinen Adern,
mein Herz rast.
»Was gibt
es da zu erklären?«, fauche ich ihn an. »Du hast dein Kind vor mir geheim gehalten.
Daraus schließe ich, dass ich für dich nur irgendeine x-beliebige Person bin, die
zwar gelegentlich mit dir ins Bett gehen kann, aber sonst nichts von dir wissen
muss, oder?«
Die drei
Damen am Nachbartisch im Schraders gucken sich neugierig um. Sie fragen sich bestimmt,
warum ein attraktiver junger Mann mit so einer hysterischen Kuh an einem Tisch sitzt.
Holt ihn
euch doch! Ihr könnt ihn haben, den kleinen Bruder vom Lügenbaron!
»Da täuschst
du dich«, sagt
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