Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Neulich hörte ich, wie
meine Eltern über Änni sprachen. Oh je! Schon wieder habe ich gelauscht. Ich merkte,
dass Mutter sehr erregt war. Aber Vater lachte sie aus und sagte, sie sollte doch
wissen, dass ein Mann sich die Hörner vor der Ehe abstoßen müsste. Das wäre nur
gut und richtig.
Die Hörner
abstoßen? Nicht zu fassen! Mein Friedrich ist doch kein Ziegenbock!
Schon damals bestand die Welt nur
aus Lug und Trug. Und Augusta hat alles tapfer ertragen! Wird es bei Basti und mir
jetzt genauso werden, weil sein aufgeflogenes Geheimnis zwischen uns steht und mir
die Freude am Zusammensein raubt? Oder Vicki, die Daniel nicht mehr bei sich haben
will, damit er ihre Schwangerschaft nicht bemerkt?
Nein, das
darf alles nicht geschehen.
Meine große
Abscheu vor kleinen Geheimnissen wächst ins Unermessliche.
*
Die Tage vergehen.
Ich beobachte Vicki sehr genau. Sie geht Daniel aus dem Weg, wo sie nur kann. Aber
ich darf nichts sagen, denn ich bin genauso. Ich weiß, dass Basti auf eine Nachricht
wartet, doch ich kann noch nicht mit ihm reden. Ich habe bisher nicht einmal die
Hälfte seiner Enthüllungen verdaut.
Als ich – eine Woche, nachdem ich von Bastis und Vickis Geheimnissen
erfahren habe – nach Hause komme, liegt ein Zettel auf dem Küchentisch.
›Bin ein paar Tage weg und nicht zu erreichen. Mach dir keine
Sorgen. Es geht mir gut. Vicki‹.
Betrübt starre ich die Zeilen an. Es ist alles total trostlos.
Und es kommt noch schlimmer. Am Abend schließt jemand die Wohnung auf. Ich stürme
aufgeregt in den Flur. »Vicki!«
Es ist Daniel, der vor mir steht. Er sieht fix und fertig
aus. »Weißt du, was mit Vicki los ist?«, fällt er grußlos mit der Tür ins Haus.
Was für ein Mist! Jetzt hänge ich bis zum Hals mit in der
Sache drin.
»Komm rein. Ich habe gerade Kaffee gemacht«, lenke ich ab.
»Sie ist
nicht hier?«
Wortlos
krame ich den Zettel hervor und gebe ihn ihm. »Ich dachte, ihr seid zusammen weggefahren«,
schwindele ich.
»Das klingt
nicht gerade danach, oder?«, sagt Daniel sauer und tippt auf den Zettel.
Will er mir etwa Ärger machen?
»Ich habe
keine Ahnung, wo sie hingefahren ist. Sie hat mir nichts erzählt, aber ich denke,
sie wird sich bei dir melden. Vielleicht ist sie nur weg, um ein bisschen zu schreiben
…«
Ich rede allerlei unwichtiges Zeug, damit er nicht auf die
Idee kommt, mich über Vicki auszufragen. Jetzt könnte eigentlich meine Mutter anrufen
oder Oma oder die Süddeutsche Klassenlotterie, die mir ein Los verkaufen will. Die
melden sich sonst laufend, mit Vorliebe dann, wenn ich keine Zeit habe. Aber wenn
ich sie mal wirklich brauche …
Daniel guckt
trübsinnig in seine Kaffeetasse. »Ich habe Vicki nicht mehr gesehen, seit wir mit
euch Grillen waren. Sie geht nicht ans Telefon, ruft nicht an, mailt nicht … Am
Anfang dachte ich, dass sie einfach nur viel zu tun hat. Manchmal ist sie ein bisschen
launisch. Du kennst sie ja.« Er wischt sich mit dem Handrücken über die Augen.
Mein Gott!
Daniel sitzt hier wie ein großer trauriger Teddybär und weint. Das macht mich echt
fertig. Und das alles nur, weil Vicki nicht mit Daniel redet, sondern aus lauter
Verzweiflung abgehauen ist!
Mit ein
paar klärenden Worten meinerseits könnte der ganze Stress zumindest teilweise beendet
werden. Aber ich habe Vicki versprochen, dass ich nichts sage, und daran muss ich
mich halten. Obwohl ich dabei hinter dem Rücken die Finger gekreuzt habe. Eigentlich
könnte und würde ich am liebsten alles ausplaudern, denn die beiden tun mir furchtbar
leid. Doch ich finde, Vicki muss es Daniel sagen. Wenn ich mal schwanger bin, will
ich es Basti jedenfalls selbst erzählen.
Ich und
schwanger von Basti? Nee, also dieser Gedanke geht wirklich zu weit.
Ich kann
Daniel nicht helfen. Auch wenn es schwer mitanzusehen ist, wie die beiden sich quälen.
Was ich hingegen tun kann: einen Besen nehmen und vor meiner eigenen Haustür kehren.
»Daniel,
ich muss weg. Tut mir leid«, sage ich. »Sobald sich Vicki meldet, gebe ich dir Bescheid.
Und bitte, vergiss nicht, dass sie dich liebt.«
Mehr kann
ich für die beiden im Moment nicht tun.
Während
ich die Treppen hinunterlaufe, wähle ich die Nummer von Bastis HNO-Station. Die
nette Stationsschwester verrät mir, dass er Dienst hat und ich ihn auf jeden Fall
erwische, wenn ich mich gleich auf den Weg mache.
Eine halbe
Stunde später stehe ich im Krankenhaus.
»Dr. Andrees
ist noch mal im OP«, sagt mir die Empfangsschwester.
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