Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
paar Hosen müssen umgenäht
werden. Während ich arbeite, singe ich leise ein Liedchen oder plaudere mit Jola.
Oh Mann!
Ich habe mich lange nicht mehr so frei und unbeschwert gefühlt.
Gegen 3
Uhr nachts schließen wir die Werkstatt ab. Ich habe ein Taxi gerufen, das zuerst
Jola und dann mich nach Hause bringt.
»Bist du
eine gute Kind«, sagt Jola und umarmt mich zum Abschied.
Ich weiß
jetzt wieder, wo ich wirklich hingehöre, und wenn meine Arbeit beim Musical abgeschlossen
ist, werde ich dorthin zurückkehren. Wie ein verlorenes Schaf, das zurück zu seiner
Herde findet. Jawohl!
*
Nach vier Stunden Schlaf bin ich
bereits wieder auf den Beinen. Margret besuchen.
»Ich wusste,
dass du kommst«, sagt sie ruppig, als sie mich sieht. »Vor dir hat man wirklich
niemals seine Ruhe.«
Ich lächle
fröhlich und lasse mir nicht anmerken, dass mich Margrets dunkle Augenringe ziemlich
erschrecken. Wir haben uns doch nur ein paar Tage nicht gesehen! Wie kann sie plötzlich
so müde und erschöpft aussehen?
Die anderen
drei Frauen im Zimmer gucken mich misstrauisch an.
»Du störst«,
sagt Margret. »Wir wollten gerade Doppelkopf spielen.«
»Soll ich
die Schwester rufen?«, fragt eine der Frauen.
»Nicht nötig«,
antworte ich und setze mich zu Margret ans Bett. »Sie hat eine spezielle Art, sich
zu freuen.«
»Komm her«,
sagt meine Meisterin und umarmt mich. »Wie bist du mir auf die Schliche gekommen?«
Während
ich berichte, steht sie auf und zieht sich einen Morgenmantel über. Wir gehen zusammen
in die Cafeteria, wo Margret mich auf einen Kaffee einlädt, den ich gut gebrauchen
kann.
Ich erfahre,
dass die Sarkoidose, ihre chronische Lungenkrankheit, schlimmer geworden ist. Während
unseres Gespräches wird sie immer wieder von Hustenanfällen geschüttelt. Die Ärzte
möchten sie an die See zur Erholung schicken.
»Als ob
ich so mir nichts, dir nichts verreisen könnte. Die spinnen, die Quacksalber«, flucht
Margret.
»Solltest
du aber«, gebe ich zu bedenken. »Ich kann Jola doch helfen.«
»Du bist
wohl nicht ausgelastet, mein Kind?«
Ich erzähle
ihr von meiner Arbeit und ehe ich mich versehe, platzt der ganze andere aufgestaute
Kram aus mir heraus. Basti, Marlene, Leo, Tina …
»Dich kann
man keine zwei Wochen aus den Augen lassen, Rosa«, konstatiert meine Meisterin,
als ich fertig bin. Dieser Satz kommt mir ziemlich bekannt vor.
»Und was
soll ich jetzt machen?«, frage ich hilflos. »Ich meine, damit mich nicht mehr alle
als ihren Spielball benutzen.«
»Angenommen,
Vicki schenkt dir eine Schokoladentorte und empfiehlt dir, sie gleich zu probieren.
Du aber isst das ganze Ding mit einem Mal auf. Schließlich liebst du Schokolade
über alles«, sagt sie und schaut mich mit ihren klugen Augen aufmerksam an. »Danach
ist dir speiübel. Wer, glaubst du, ist schuld an dem Problem?«
»Vicki!«,
sage ich lachend. Ich ahne, worauf Margret hinauswill. »Ich weiß, dass ich selbst
auf mich aufpassen muss«, füge ich seufzend hinzu. »Auch wenn das Leben wie eine
gewaltige Schokoladentorte ist und ich es mit dem großen Löffel essen will.«
»Siehst
du«, sagt Margret. »So schwer ist es gar nicht.«
»Vicki ist
trotzdem schuld.«
»Natürlich
ist sie das.«
Lachend
drücken wir uns. Dann muss ich gehen.
Während der Fahrt ins Theater denke
ich über unser Gespräch nach.
Also gut.
Dann sollte ich mir mal darüber klar werden, was ich wirklich will. Da ist zuerst
einmal: Meine Arbeit brillant erledigen. Dann: Marlene ignorieren. Und nicht zuletzt:
Mit Basti zusammen sein und Leo einen Korb geben, falls er noch einmal versuchen
sollte, mich zu küssen.
Na bitte!
Das war gar nicht so schwer!
»Du siehst ganz schön fertig aus«,
sagt Tina lächelnd. »Warst du feiern?«
Ich berichte
ihr in Kurzform, was in meiner alten Werkstatt los ist. »Ich muss heute Abend wieder
hin.«
»Wie lange
willst du das durchhalten?«
»Bis Margret
zurück ist«, sage ich und stelle fest, dass das ganz schön hart werden wird. Andererseits
bin ich dann zu beschäftigt, um privates Chaos anzurichten.
Ich sehe,
dass Marlene schon wieder die Ohren spitzt.
»Wo ist
denn deine Werkstatt?«, fragt sie und guckt mich an ihrer Schneiderpuppe vorbei
neugierig an. Sie hat gerade ein schwarzes Kleid aus Leder und Tüll für Orans Gespielin
(die, die Ben entführen wird, um ihn zum Vampir zu machen) genäht. Es sieht fantastisch
aus.
Ich wär ja schön blöd, ihr auch nur ein einziges Fitzelchen
aus
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