Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
denke
gar nichts«, unterbreche ich ihn schon wieder. »Aber dieses Bild in der B.Z.« Leider
merke ich zu spät, dass ich eben aufs Glatteis geschlittert bin.
»Du sprichst
nicht etwa von dem Foto, auf dem Antonia und ich als behandelnde Ärzte unserer ukrainischen
Patientin vorgestellt werden? Oder meinst du das, auf dem wir beide in einer Kneipe
sitzen, ich ihre Hand halte und dabei halb in ihren Ausschnitt krieche …«
Bitte hör
auf, Basti!
»Ach nee,
warte mal, das warst ja du . Und der Typ, das war gar nicht ich, sondern …«
»Ist ja
gut«, unterbreche ich ihn heftig. »Es ist gut. Es war blöd von mir. Ich war total
eifersüchtig. Aber mit Leo im Restaurant, auf dem Foto … da war nichts. Das musst
du mir jetzt auch einfach mal glauben.«
»Okay«,
sagt Basti. »Und sonst?«
»Sonst ist
es so, dass er mich überrumpelt hat. Das, was du gesehen hast … am … am Potsdamer
Platz. Ich hatte keine Ahnung, dass er … Und dann bin ich dir hinterhergerannt,
doch du warst plötzlich weg. Es ist alles total schwierig mit uns in letzter Zeit.«
»Neuanfang?«
»Meinst
du das ernst?«
Er nickt.
»Ohne Geheimnisse?«, frage ich vorsichtig nach, denn das
ist mir total wichtig. »Ganz ehrlich stattdessen?« Geheimnisse sind wie Zeitbomben.
Sie ticken unauffällig vor sich hin, aber wenn der Moment gekommen ist, dann – woooom
– haben sie ein gewaltiges Zerstörungspotenzial.
Wieder nickt
er. »Da läuft nichts mehr mit Antonia, auch nichts mit Nadja und ebenfalls nichts
mit Marlene.«
Ich winke
ab. »Hör bloß mit Marlene auf«, stöhne ich. »Dass du ausgerechnet die kennen
musst. Berlin ist echt ein Dorf.«
»Ich werde
sie bitten, ein Auge auf dich zu haben.«
»Also …«
Er lacht.
»War ein Scherz, Rosa.«
»Warst du
mit ihr …? Ich meine, hast du …?«
In dem Moment,
als ich frage, merke ich, dass ich die Antwort eigentlich gar nicht wissen will.
Ich muss mir echt angewöhnen, vor dem Reden zu denken.
»Ist ein
paar Jahre her. Aber, ja. Ja, wir hatten was miteinander.«
Welcher
Idiot hat das mit der unbedingten Ehrlichkeit eigentlich vorgeschlagen? Jetzt muss
ich immer, wenn ich Marlene sehe, daran denken, dass sie vor mir mit Basti im Bett
war. Und mit Leo wahrscheinlich auch.
Das ist
wie bei Hase und Igel – und ich bin natürlich der doofe Hase, der sich total abhetzt
und trotzdem immer verliert. Marlene ist der clevere Igel, der fies rumtrickst und
immer ›Ich bin schon da!‹ schreit. Jetzt ist mir klar, warum ich das Märchen als
Kind nicht ausstehen konnte. Der Hase kann einem echt leidtun.
Während
Basti meine Hand nimmt, merke ich, dass ich gerade darüber nachgedacht habe, mit
Leo im Bett zu landen. Und das ausgerechnet während der schönsten Versöhnung mit
meinem Freund.
Vielleicht
sollte ich meinen verdammten Theaterjob einfach kündigen.
*
»Ist die eine Kacke vorbei, kommt
die nächste, weißt du«, sagt Jola, nachdem sie mich gedrückt hat.
Diesen Satz
kann ich zu 100 Prozent unterschreiben.
Gerade hatten
Basti und ich das Schraders verlassen. Basti musste zur Nachtschicht, was ich sehr
bedauerte, denn ich hätte unsere Versöhnung sehr gern zärtlich auf seinem schönen
breiten Futon besiegelt.
Nach einem
langen Abschiedskuss guckte ich rein gewohnheitsmäßig auf die andere Straßenseite
zur Werkstatt und sah noch Licht brennen. Um diese Zeit?
Im Nu war
ich drüben und habe Jola an der Nähmaschine erwischt. Und sie sieht nicht so aus,
als wollte sie in den nächsten Stunden mit der Arbeit aufhören. Ein Riesenberg Klamotten
türmt sich neben ihrem Tisch.
»Was ist
los?«, frage ich. »Warum arbeitest du noch? Wo ist Margret?«
»Das ist
ja die schlimme Sache. Ist sie wieder zu Krankenhaus.«
Langsam,
aber sicher kriege ich aus Jola heraus, dass Margret erneut Probleme mit ihrer Lunge
hat und partout nicht wollte, dass ich das erfahre.
»Warum denn
nicht? Ich kann euch doch helfen!«
»Hat sie
gesagt, dass du sagst das. Aber will sie nicht. Hast du genug zu tun in deine Theater.«
Auf einmal
komme ich mir wie ein Verräter vor. Ich bin in meine schöne Glitzerwelt geflüchtet
(die so schön ja gar nicht ist) und habe Margret und Jola völlig im Stich gelassen.
Und das nach allem, was meine Meisterin für mich getan hat.
»Zeig her«,
sage ich und schnappe mir die Hälfte von Jolas Stapel.
Zwei Minuten
später sitze ich an meinem alten Arbeitsplatz und repariere das Futter von einem
alten Wollrock. Ein Tweedblazer hat kaputte Taschen und ein
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