Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
nörgeln, muffeln
und kritisieren an meiner Arbeit herum.
Zu wenig
Bühnenpräsens der Entwürfe, mangelnde Theatererfahrung der Kostümbildnerin … blablabla
… Leo lehnt sich gemütlich zurück und lässt sie labern. Und mich leiden. Als ob
er nicht letzte Woche noch alles super gefunden hätte, was ich genäht habe.
Am Ende
kommt heraus, dass Tina und ich ein paar Kostüme modifizieren müssen. Marlenes Sachen
sind in Ordnung. Ich balle unter dem Tisch die Hände zu Fäusten. Nur so gelingt
es mir, nicht heulend rauszurennen.
Als alle
gehen, hält Leo mich zurück. »Die Verbesserungen machst du nebenher. Zur Not abends«,
sagt er im Kommandoton. »Wir kommen in Verzug, wenn du nicht gleichzeitig mit den
Neuanfertigungen weitermachst.«
»Okay«,
sage ich. »Nur, ich habe heute einen Termin in …«
»Den kannst
du absagen.«
Ich wollte
mit Jola einen ganz wichtigen Auftrag abarbeiten – schwere Vorhänge aus Samt, die
eine unserer Neukundinnen aus Grunewald bestellt hat. Sie will ihre fertige Fensterdekoration
schon am nächsten Tag abholen. Das schafft Jola niemals ohne mich.
»Leo, es
…«
Da dreht
er sich um und geht.
Was für
ein arroganter, gemeiner Kerl! Er ist abgeblitzt und jetzt lässt er mich seine Macht
spüren. Das ist ja mieser als in der miesesten Seifenoper.
Als ich
in die Werkstatt zurückkomme, kann ich das Weinen nicht mehr unterdrücken. Zum Glück
ist nur Tina da. Marlene scheint auf einen Kaffee draußen zu sein. Heulend erzähle
ich meiner Kollegin von dem ganzen Unglück. Sie hört mir aufmerksam zu.
»Zuerst
rufst du deine polnische Freundin an«, sagt sie. »Und hörst, wie weit sie gekommen
ist. Wenn sie es nicht schafft, finden wir eine Lösung. Keine Sorge. Ich helfe dir.«
Langsam
beruhige ich mich. Vielleicht kann ja Lila für mich bei Jola einspringen.
Gerade als
wir uns wieder an die Arbeit setzen, kommt Marlene zurück. Ein Glück, dass sie nichts
von meinen Problemen mitbekommen hat. Das fehlte noch.
Still und
konzentriert machen wir uns an die Arbeit. Um 18 Uhr muss Tina gehen. Sie hat einen
Zahnarzttermin. Danach wird sie zu Jola in den Wedding fahren und mit ihr die Vorhänge
fertig nähen, denn Lila kann nicht. Sie gibt heute Abend einen Nähkurs.
Ich seufze erleichtert auf. Ein Glück, dass es Tina gibt.
Marlene
macht sich zeitgleich vom Acker. Sie verabschiedet sich vergleichsweise freundlich.
»Ciao, Rosa!« Ich grüße knapp zurück und bin allein.
Das wird
eine Nachtschicht heute. Ich könnte schon wieder heulen. Was hab ich mir nur eingebrockt
mit diesem vermeintlichen Traumjob? Wenn das so weitergeht, bin ich am Ende reif
für die Klapsmühle.
Gegen 22
Uhr ruft Basti an. Ich erzähle ihm, was passiert ist. Er tröstet mich und spricht
mir Mut zu. »Du schaffst das, Rosa.«
Ja, irgendwie
schaffe ich das.
Eine Stunde
später frage ich mich, ob ich die Letzte im Gebäude bin. Es ist absolut still. Noch
zwei Änderungen, dann werde ich endlich nach Hause gehen. Ich will hier schließlich
nicht übernachten. Das kann selbst Leo nicht von mir verlangen.
»Kommst
du voran?«
Hilfe! »Leo, mein
Gott, du hast mich zu Tode erschreckt!«, schreie ich hysterisch und springe auf.
»Was machst du noch hier?«
»Das Gleiche
wie du«, antwortet er. »Arbeiten. Und mich die ganze Zeit fragen, was ich eigentlich
falsch gemacht habe bei dir.«
»Was du
… falsch …? Ich verstehe dich nicht«, stottere ich.
»Ich dachte,
es läuft ganz gut an mit uns beiden.«
»Mit … uns?«
Wie zur Hölle meint er das: Mit uns?
»Allerdings
ging ich davon aus, du hättest keinen Freund. Das war ein Schock für mich.«
»Aber du
bist doch selbst vergeben«, sage ich emotionaler und heftiger, als ich beabsichtige.
»Ich verstehe überhaupt nicht, was du von mir willst. Ich … du machst mich fertig,
weißt du das?«
»Wenn ich
vergeben wäre, Rosa, würde ich mir nicht den Arsch aufreißen, um dich rumzukriegen.
Oder?« Er ist selbst lauter geworden.
»Oh doch«, sage ich verzweifelt. »Das würdest du. Es steht
überall, dass du an jeder Hand zehn Frauen hast.«
»Und diesen Mist glaubst du?« Bisher stand die Nähmaschine
zwischen uns. Jetzt geht er um sie herum und packt mich an den Schultern. »Du glaubst
ernsthaft, was über mich in irgendwelchen Käseblättern steht? Hast du denn überhaupt
gar nichts begriffen?«
»Was denn begriffen?«, frage ich kleinlaut.
Er sieht mir in die Augen. Still. Lange. »Das hier«, sagt
er dann leise und küsst mich ganz zart
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