Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
meinem Leben zu erzählen. »Musst du nicht wissen«, sage ich oberzickig, hänge
meine Jacke in den Schrank und setze mich an meine Maschine.
Marlene zuckt die Schultern und widmet sich wieder ihrer Arbeit.
Ich grübele mit Tina über Bens nächstes Kostüm. Er ist der
schönen Untoten im Lederdress verfallen und will an ihrer Seite leben. Dazu muss
er ebenfalls ein Vampir werden. Der Biss seiner Geliebten kann ihm den Weg ebnen,
doch um endgültig von seinem alten Leben getrennt und somit unsterblich zu werden,
muss er etwas aus der alten Welt opfern. Nicht etwas, sondern jemanden. Und das
soll Rosana sein.
Ich finde diese Stelle im Musical unheimlich gruselig. Wie
Ben im Blutrausch schwört, seine einstige Braut zu töten, während Rosana gleichzeitig
alles tut, um ihn zu retten … Also, das lässt keinen kalt. Die Szene, in der Ben
und seine ehemals große Liebe sich wiederbegegnen, ist ein echter Knaller. Ihre
Kostüme müssen es ebenfalls sein.
Wenn ich nur nicht so müde wäre.
*
Vicki lümmelt mit einem gigantischen
Eimer Popcorn in der Bibliothek und liest, als ich nach Hause komme. Heute ist Freitag
und ich habe Lust auf einen gemütlichen Abend. Vicki und ihr Knabberzeug kommen
mir da gerade recht.
»Wenn ich
den ganzen Tag nur so was esse«, sagt meine Freundin mit vollen Backen. »Dann ist
mir überhaupt nicht mehr schlecht.«
»Rutsch
mal.«
Ich lasse
mich neben sie plumpsen und lange in den Eimer. »Was liest du?«
Sie hält
mir ein Buch hin, das ziemlich antiquiert aussieht. »Ein Ratgeber für die moderne
Frau. Ist von 1956. Habe ich vor Kurzem im Regal entdeckt.«
»Sehr modern«,
sage ich lachend. »Warum liest du das?«
»Warum nicht?
Meinst du, Kinder kriegen war damals anders als heute?«, antwortet sie kauend. »Hier,
guck mal, Eröffnungsphase, Presswehen, Austreibungsphase. Echt gruselig, oder?«
Ich nicke.
»Ein paar neue Erkenntnisse wird es inzwischen schon gegeben haben, oder?«
»Keine Ahnung,
aber mit Sicherheit neue Bezeichnungen, die das Ganze ein bisschen harmloser klingen
lassen«, antwortet Vicki lachend, klappt das Buch zu und schüttelt sich.
Ich beschließe,
ihr morgen einen aktuellen Ratgeber zu spendieren.
»Wollen
wir was essen?«, frage ich und gähne. »Ich meine, was anderes als Popcorn?«
»Also ich
nicht, ich leiste dir trotzdem gern Gesellschaft.«
Während
ich mir in der Küche ein kleines Fladenbrot mit Tomaten und Oliven mache (und für
Vicki vorsorglich eins mit), stellt Vicki den Fernseher im Wohnzimmer an und setzt
sich auf die Couch. Ich schnappe mir unsere Teller und zwei große Wassergläser und
geselle mich dazu.
Nach dem
Essen lege ich meinen Kopf auf ihren Schoß, schrecke aber sofort wieder hoch. »Meinst
du, ich zerquetsche dein Baby, wenn ich so dicht an deinem Bauch liege?«
Vicki lacht.
»Glaube ich nicht. Es ist ja erst so groß wie eine Erbse.«
»Süß, oder?
Du kriegst ein Erbsenbaby.«
»Erstaunlich,
wie dieser Winzling es schafft, dass mir seit Wochen speiübel ist.«
»Das ist
bestimmt bald vorbei.«
Im Fernsehen
laufen gerade die VIP-News. Ich will wegzappen. Doch Vicki schwärmt für George Clooney,
der gerade mit seiner 395. Freundin am Comer See Urlaub macht, was dem Magazin einen
längeren Beitrag wert ist.
Während
Vicki flimmert, blättere ich die Fernsehzeitung durch. Kein schöner Film in Sicht.
Ich werde wohl zeitig ins Bett gehen und morgen richtig ausschlafen.
Gerade als
ich mich ausstrecken will, guckt mich Leo aus dem Fernseher an. In Großaufnahme.
Also das ist ein Ding! Kerzengerade sitze ich auf der Couch und starre zurück. Mein
Herz fängt wild zu klopfen an.
Nur zwei
Sekunden später steht es still. Vor Schreck! Mein Blut stürzt vom Kopf in die Füße.
Leopold
Weidenhain – derselbe, der mich im Sonycenter geküsst hat – hat sich in London,
wo er Vorbereitungen für seinen nächsten Spielfilm trifft, mit seiner Exfreundin
versöhnt, dem Supermodell! Ein kurzer Film zeigt, wie die beiden morgens zusammen
das Brown’s Hotel in Mayfair verlassen, wo sie laut Moderatorin gemeinsam eine Suite
bewohnen.
Ich fasse
es nicht!
Vicki guckt
mich von der Seite an. »Alles okay, Rosa?«
»Ja«, sage
ich tonlos. »Ich … ich hatte doch eine Aussprache mit Basti. Ich wollte … sowieso
nichts mit Leo anfangen. Es … es war ja klar, dass das nichts werden kann.«
»Heul ruhig«,
sagt Vicki und streicht mir liebevoll über meine Haare. »Heul dich aus und dann
vergiss ihn. Es ist besser so,
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