Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
bestickt ist.
»Damit sieht
Rosana wie ein Sahnebaiser aus«, sagt Tina. »Total verführerisch.«
»Eher wie
eine Braut«, ergänze ich. »Aber bei Weitem nicht so unschuldig.«
Auf dem
Kopf trägt Rosana eine glänzende Kappe mit einer geschwungenen Feder, die auf ihrer
rechten Wange anliegt. Ihre schwarzen Haare werden straff zurückgebunden und ihre
Maskenbildnerin wird ihr auf die linke Schläfe ein feines verschnörkeltes Tattoo
zeichnen.
Als ich
das fertige Kleid auf die Schneiderpuppe ziehe, um letzte Stiche mit der Hand zu
erledigen, fällt mir Tina um den Hals.
»Absoluter
Wahnsinn, Rosa«, jubelt sie. »Schneewittchen kann einpacken.«
»Bei diesem
Anblick kriegen sämtliche Kerle im Publikum einen Ständer«, sagt Marlene und stellt
sich zu uns, um das fertige Werk zu betrachten.
Klar, dass
von ihr wieder ein zweifelhaftes Kompliment kommen musste. Andererseits, wollte
ich das nicht? Die Verführung pur?
»Wie ein
Bonbon«, sagt Lisa, die Darstellerin der Rosana, die lustiger Weise auch gerade
ihren Kopf durch die Tür steckt, in ihrem netten amerikanischen Akzent. »Aber die
obere Hälfte ist schon ausgewickelt. Are you sure, Rosa, dass diese kleinen Blümchen
an den richtigen Stellen sitzen?«
Wir lachen
alle.
»Ich bin
mir ganz sicher, Lisa.«
»Ich liebe
es, Rosa! Zum Glück kann mich Father Riley aus Stamford so nicht sehen. Der ist
ein sittenstrenger Mann und würde denken, der Teufel selbst ist der Schneider gewesen.«
Lisa ist
aus Connecticut. Ihre Familie lebt noch dort und wird zur Premiere anreisen. Hoffentlich
bringen sie den Pfarrer nicht mit, sonst bekomme ich bestimmt Ärger mit ihm.
Wir vier
Frauen stehen also lachend und quatschend um das Traumkleid herum, als endlich Leo
mal wieder in die Werkstatt kommt.
Mein Herz
setzt umgehend zu einem strammen Galopp an, aber weniger, weil Leo da ist, sondern
weil er jetzt mein Kleid sieht. Unser fröhliches Geplapper erstirbt. Die Spannung
im Raum ist greifbar.
»Ich …«,
setzt Leo an, weiter kommt er nicht, denn mein Werk fällt ihm ins Auge. Er schluckt.
Ich zittere.
»Verdammt,
Rosa«, sagt er und starrt auf die Schneiderpuppe. »Verdammt. Das ist der Hammer!«
Als er raus
ist, recke ich beide Arme in die Luft und schreie laut vor Freude. Mann, tut das
gut, nach all der Anspannung der letzten Zeit. Heute Abend werde ich feiern. Zum
Glück hat Basti frei. Wir haben uns für diesen Abend verabredet.
Als ich
gegen 18 Uhr meine Nähmaschine ausschalte, kommt einer von Leos Assistenten in die
Werkstatt gesaust und sagt mir, dass ich noch bleiben soll.
»Warum?«,
frage ich überrascht.
Er zuckt
die Schultern.
»Wir hängen
im dritten Akt. Kann sein, dass du ‘n paar Klamotten total umändern musst.«
Es passt
mir absolut nicht, dass ich heute Überstunden machen soll. Den Grund muss ich allerdings
zähneknirschend akzeptieren. Ich rufe Basti an.
»Warte lieber
nicht auf mich«, sage ich frustriert. »Meinem lieben Chef ist gerade eingefallen,
dass man am Freitagabend eigentlich auch arbeiten könnte.«
»Ist okay«,
antwortet Basti. Ich versuche, herauszuhören, ob da ein misstrauischer Unterton
wegen Leo in seiner Stimme ist. Aber ich merke nichts. »Juli freut sich total, dich
morgen wiederzusehen. Sie hat meiner Mutter von dir vorgeschwärmt.«
Er vertraut
mir. Das berührt mich sehr. Jetzt muss ich mir nur noch selbst vertrauen. Die Situation
erinnert mich an neulich. Prompt kribbelt es in meinem Bauch. Ich habe wirklich
versucht, nicht mehr an Leo und unseren wunderbaren Kuss zu denken. Aber es ist
verdammt schwer, jemanden zu vergessen, den man beinahe täglich sieht. Oder?
Na gut,
dann schiebe ich mal wieder Überstunden. Zu tun habe ich ja genug. Nur blöd, dass
Tina und Marlene längst weg sind. Die waren schlau genug (als hätten sie etwas geahnt),
sich schon am Nachmittag zu verdrücken.
Kurz nach
Mitternacht lässt meine Energie ernsthaft nach. Seit einer Stunde war niemand mehr
hier, um Kleider zu holen oder zurückzubringen. Ich denke, es ist genug. Niemand
wird um diese Zeit mehr ernsthaft proben.
Ich beschließe,
zu verschwinden. Zum Glück ist Basti ein Nachtmensch. Wenn ich gleich in ein Taxi
springe und zu ihm fahre, sind wir wenigstens noch den Rest der Nacht beieinander.
Als ich mein Handy zücke, um ihn anzurufen, taucht Leo plötzlich auf.
Ich lasse
das Telefon sinken. Nun ist es zu spät, um einfach abzuhauen. Mir ist vollkommen
klar, dass außer Leo und mir niemand mehr im Theater ist. Und dass
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