Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Taschentücher zu
holen. Mist! Sie sind alle. Auf der Suche danach tappe ich in Leos Arbeitszimmer.
Auf seiner Kommode liegt tatsächlich eine Packung Tempos, die ich mir erleichtert
schnappe. Dann entdecke ich ein Handy, ein älteres Modell, das ebenfalls dort liegt.
Komisch, das habe ich noch nie gesehen. Es blinkt. Eine Nachricht ist angekommen.
Ob sie wichtig
ist?
Eine Zehntelsekunde
brauche ich für die Entscheidung. Ich nehme das Handy und lese die SMS.
›Thank you for the wonderful evening in Berlin. I always think about
it. See you tomorrow. Danielle‹
Ich dachte
mein Herz wäre neulich schon kaputtgegangen. War es aber nicht, denn es kann immer
noch verdammt wehtun.
Hört das
denn niemals auf?
11. Kapitel
Ein großer Haufen Schweinereien
Ich habe Glück, dass Leo gerade
allein in seinem Büro ist, als ich im Theater ankomme.
»Rosa«,
sagt er lächelnd, als ich die Tür aufreiße. Als er meinen wütenden Blick sieht,
wird seine Miene besorgt. »Ist alles okay?«
»Nein, ist
es nicht«, fahre ich ihn an und halte ihm das Handy unter die Nase.
Ich würde
zwar nicht behaupten, dass er rot wird beim Anblick des kleinen Apparates, aber
er sieht ein wenig verwirrt aus. Was einen Schwung Wasser auf meine Mühlen gießt.
»Bist du so freundlich, mir zu erklären, was das zu bedeuten hat?«, fauche ich.
Für einen
kurzen Moment muss ich an Augusta denken und daran, dass mir ihr ruhiges Verhalten,
egal in welcher Lebenslage, so imponiert hat. Im Grunde verachte ich mich dafür,
dass ich Leo mal wieder eine Szene mache.
Meine Gefühle
gehen laufend mit mir durch, seit wir zusammen sind – die schönen und leider auch
die schlechten. Es ist wie Himmel und Hölle. Licht und Schatten. Das eine kann es
ohne das andere nicht geben.
Leo sieht
richtig sauer aus, als er die Nachricht gelesen hat. »Und was hast du an meinem
Handy zu suchen?«
Die Frage
ist berechtigt. Ich schäme mich für meine Indiskretion. Warum habe ich das nur getan?
Vertraue ich Leo etwa nicht?
»Ich habe
nur Taschentücher gesucht«, versuche ich mich herauszureden. »Und dann … dann habe
ich das Handy gesehen und ich dachte, es sei vielleicht wichtig und …« Plötzlich
habe ich keine Lust mehr, mich zu rechtfertigen. »Was läuft zwischen dir und Danielle?«
Er lacht.
Es klingt alles andere als fröhlich.
»Hast du
doch bereits gelesen«, sagt er kühl. »Sie ist morgen in der Stadt, für ein Shooting.
Wir trinken zusammen einen Kaffee, bevor sie am Abend nach San Francisco fliegt.«
»Und was
hat es mit dem tollen Abend neulich auf sich? Als ich euch leeeiider dazwischengekommen
bin. Hattet ihr gerade Sex oder wolltet ihr noch?«
»Wird das
hier ein Verhör?« Er klingt richtig ärgerlich.
»Ja!«, beharre
ich mit letzter Kraft.
»Ich weiß
nicht, was mit dir los ist«, antwortet Leo mühsam beherrscht. »Aber ich drücke ein
Auge zu, weil du krank bist und ich kein Unmensch bin. Also, für dich zum Mitschreiben:
Danielle ist ziemlich viel unterwegs. Beinahe jeden Tag woanders. Wir hatten früher
eine nette Zeit, wie du sicher weißt, und wir haben uns nicht im Unfrieden getrennt.
Wir sind Freunde geblieben. Wenn sie also in Berlin ist, oder ich zufällig dort
bin, wo sie gerade ist, dann treffen wir uns und haben einen schönen Abend. Und,
entschuldige, Rosa, dazu brauche ich deine Erlaubnis nicht.«
Mit jedem Wort, das er sagt, schwindet mein Ärger, allerdings
nur, um einem noch viel schrecklicherem Gefühl Platz zu machen. Der Scham. Leo und
Danielle sind Freunde. Und ich bin ein kleingeistiges, provinzielles Mädchen!
»Entschuldige«,
flüstere ich, als Leo fertig ist. »Ich … ich dachte, dass …«
»Ist schon
okay«, antwortet Leo und lächelt grimmig. »Kann ich jetzt bitte weiterarbeiten?«
»Ich gehe
in die Werkstatt, okay?«
Er nickt
und wendet sich dann irgendwelchen Papieren auf seinem Schreibtisch zu.
Ich bin
nur daumengroß, als ich den Flur entlangschleiche. Mit Hut.
Aber als
ich unser Gespräch noch einmal durchdenke, wird mir klar, dass er meinem schrecklichen
Verdacht gar nicht widersprochen hat. Ich weiß noch immer nicht, was es wirklich
bedeutet, wenn er und seine Ex einen ›schönen Abend‹ haben.
Er hätte
mir doch so antworten können: »Geliebte Rosa, hast du Angst, Danielle und ich könnten
miteinander schlafen, wenn wir uns sehen? Oh nein, das wird niemals geschehen. Denn
ich liebe allein dich.«
Das wäre beruhigend
gewesen! Solche klaren Worte braucht eine
Weitere Kostenlose Bücher