Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
von Augustas Schwester«, sage ich aufgeregt. »Quatsch, ich meine,
die Urenkelin der Schwester von Augustas Mutter!«
»Langsam!
Mir schwirrt der Kopf. Du denkst also, das Gut müsste jetzt eigentlich deiner Freundin
gehören?«, fragt Tina.
»Keine Ahnung«,
sage ich und resigniere direkt wieder. »Und selbst wenn, wie wollen wir das beweisen?
Mit einem alten Tagebuch? Das nimmt uns keiner ab. Es ist schließlich nichts Amtliches.
Da könnte jeder kommen. Außerdem bezieht sich die Erbfolge bestimmt auf Augustas direkte Nachfahren. Mist!«
»Und noch
dazu gehört das Gut diesen Immofutzis«, ergänzt Tina. »Und die rücken es nicht mehr
raus. Da kannst du Gift drauf nehmen.«
»Schade!«
»Rosa, du
solltest es trotzdem versuchen«, sagt Tina entschlossen. »Du brauchst nur irgendein
amtliches Papier und einen Immobilienrechtsanwalt, den du mit deinen langen Wimpern
unwiderstehlich anklimperst, sodass er bei Gericht eine einstweilige Verfügung erwirkt.
Das Gut kann heute gehören, wem es will. Wenn es Erbstreitigkeiten gibt oder irgendwelche
Rückübertragungsansprüche geltend gemacht werden und somit ein schwebendes Verfahren
anhängig ist, können die derzeitigen Besitzer nicht bauen, nicht abreißen … nix.
Dann hast du immerhin Zeit gewonnen und die Ponys können erst einmal weitergrasen.«
»Wow! Woher
weißt du das alles?«
Sie zuckt
die Schultern und lacht. »Hab vier Semester Jura studiert.«
»Du hättest
weitermachen sollen«, sage ich.
»Ran an
die Arbeit, Rosa«, antwortet Tina. »Das lenkt dich von den anderen Schweinereien
ab. Ich helfe dir.«
Als wir zurück
in die Werkstatt kommen, ist Leo da. Er steht mit Marlene am Zeichentisch. Als sie
mich reinkommen sieht, rückt sie gleich ein Stück näher an ihn heran.
Dabei klebt sie sowieso fast an ihm dran. Im Nu ist mein
eben gewonnener Kampfgeist verflogen und der Verdacht breitet sich in mir aus, dass
Leo und ich niemals glücklich sein werden, wenn ihn die anderen Frauen nicht in
Ruhe lassen.
Leo lacht. Er genießt Marlenes Aufmerksamkeit sichtlich.
Kleine Verbesserung im Text: Ich werde nicht glücklich
sein, wenn die anderen Frauen Leo nicht in Ruhe lassen.
Er scheinbar
schon.
Ich wende
den beiden den Rücken zu und setze mich an meinen Platz. Leo nickt mir kurz zu,
als er rausgeht. Mehr nicht. Ich spüre, wie mir die Farbe aus den Wangen weicht
angesichts dieser Lieblosigkeit. Da steht plötzlich Marlene neben mir. Sie legt
einen Moment ihre kühle, schmale Hand auf meine.
»Er ist
es nicht wert, Rosa«, sagt sie und wüsste ich nicht, dass sie die blödeste aller
Kühe ist (sorry, liebe Kühe! Mir fiel kein besserer Vergleich ein), dann würde ich
denken, dass sie sich ernsthaft um mich sorgt. »Du brauchst ihn gar nicht,
um glücklich zu sein.«
Kann sie
meine Gedanken lesen?
»Nee, alles
klar, Marlene«, sage ich abweisend. »Ich weiß selbst, was und wen ich brauche. Vielen
Dank!«
Dennoch muss ich über ihre Worte
nachdenken, als ich nach Hause fahre. Brauche ich Leo? Ist es überhaupt wünschenswert
jemanden zu brauchen? Man braucht Luft zum Atmen, Essen und Trinken, um zu leben,
einen Platz, an den man gehört. Aber einen Menschen? Einen Mann gar?
Einige unschöne
Szenen der letzten Zeit tauchen vor meinem inneren Auge auf. Ich sehe mich, heulen,
kreischen, fluchen, spionieren … und grusele mich vor mir selbst. Fehlt nur noch,
dass ich anfange, Vasen auf den Boden zu werfen.
Doch dann
gewinnen andere Bilder die Oberhand. Wie Leo schlafend neben mir liegt, wenn ich
morgens aufwache, wie die Sonne glitzernde Kringel in sein blondes Haar malt. Wie
sein Dreitagebart mich kitzelt. Wie wunderschön es ist, wenn wir uns lieben, begehren,
keine Nacht ohne einander sein können. Wie er mir seinen Schlüssel zuwirft, als
Vicki mich rausgeschmissen hat. Das ist kein Spiel! Ich weiß, er empfindet etwas
für mich, so wie ich für ihn.
Himmel und
Hölle. Licht und Schatten.
Marlene
hat unrecht. Ich brauche Leo sehr wohl, um glücklich zu sein. Und genau diese Erkenntnis
fühlt sich irgendwie nicht richtig an.
Kurz vor
meinem Zielbahnhof Dahlem-Dorf entscheide ich mich, umzukehren und spontan zu Vicki
zu fahren. Ich muss ihr dringend diese Kletzin-Sache erzählen. Sie anzurufen hat
wahrscheinlich keinen Sinn, da sie wie üblich nicht rangehen wird. Also muss ich
mich vor ihr aufbauen und ihr klar machen, dass es um viel mehr als unsere Befindlichkeiten
geht. Sie muss mich anhören.
Wenn Tina
recht hat, habe ich jetzt
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