Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
her«, sagt er und will mich
umarmen. »Du bist ja klatschnass.«
Ich stoße
ihn weg und kriege einen riesigen Heulanfall.
Er kann
sich ruhig mal ein bisschen Mühe geben, bis ich beschließen werde, ihm die Aktion
zu verzeihen.
»Who’s that crazy girl, Leo?«
Durch meine
Tränen sehe ich ein milchkaffeebraunes, langbeiniges Wesen in einem knappen Kleidchen
die Treppe hinunterschweben. Klar, sie kennt mich nicht, aber ich weiß, wer sie ist. Ich habe sie im Fernsehen gesehen, zusammen mit Leo in London. Außerdem guckt
sie mich aus beinahe jedem Frauenmagazin und von unzähligen Plakaten an.
Es ist Danielle
Jones – Leos Ex, das Topmodel, und so ziemlich die schönste Frau unter der Sonne.
Wieso zum Teufel ist sie hier?
Ich weiche
zurück, als hätte ich ein Gespenst gesehen, reiße die Haustür auf, laufe zu Leos
Mercedes, der in der Auffahrt steht und schnappe mir meine Handtasche.
»Rosa!«
Leo ruft hinter mir her. Er lacht tatsächlich schon wieder. »Sei doch nicht so eine
hysterische Kuh!«
Ohne mich
umzudrehen, verlasse ich das Grundstück und renne, bis ich völlig erschöpft die
nächste U-Bahn-Station erreiche.
*
Langsam trocknen meine Klamotten
und ebenso meine Tränen.
Es bringt keine besondere Erleichterung, in den Berliner
öffentlichen Verkehrsmitteln zu heulen. Alle starren einen an und man fühlt sich
nur noch schlechter.
Obwohl das in meinem Fall kaum möglich ist.
Was wollte Danielle bei Leo? Wo ist sie so plötzlich hergekommen?
Es war offensichtlich ungeplant. Sonst hätte Leo mir vorher
irgendetwas gesagt. Dieser Gedanke tröstet mich ein wenig. Aber es geht mir trotzdem
nicht gut. Ich kann einfach nicht begreifen, warum Leo mich im Stich gelassen hat.
Okay, dass er davon ausging, ich hätte meine Tasche dabei, mag als Entschuldigung
durchgehen. Es war auch nicht nett, dass ich ihn zuerst ziemlich herum gescheucht
und dann sehr viel länger als die angekündigten fünf Minuten warten lassen habe
…
Warum ist er nicht zu mir gekommen und hat einen Ton gesagt
(»Rosa, kommst du jetzt.«)? Oder noch besser, warum ist er nicht ausgestiegen und
hat auch ein bisschen mit den Leuten vom Ponyhof geredet?
Ich werde nicht schlau aus ihm. Nur eins weiß ich. Heute werde
ich keinen Fuß mehr über seine Schwelle setzen. Wie gerufen kommt eine SMS von ihm.
›Kommst du bitte nach Hause, Rosa? Lass uns zusammen essen
gehen. Leo‹
›Nö‹, schreibe
ich zurück.
Erst eine
Entschuldigung!
Ich warte,
dass er mir antwortet. Das tut er allerdings nicht. Scheinbar ist ihm endlich das
Lachen vergangen. Blöde Spielchen! Aber ich kann nicht aufhören zu schmollen. Ich
finde, er hat sich Dinge geleistet, für die er sich entschuldigen muss!
Unterdessen
ist es Abend. Ich bin ein paarmal mit der U-Bahn hin- und hergefahren. Irgendwo
muss ich hin. Plötzlich kriege ich eine Riesensehnsucht nach Vicki. Ich wähle, wie
so oft in letzter Zeit, ihre Nummer. Und wie immer geht sie nicht ran.
»Vicki«,
spreche ich auf den blöden AB und fange wieder an zu heulen. »Bitte nimm doch endlich
mal ab. Ich vermisse dich total und will mit dir reden. Es war alles nur ein Missverständnis.
Ich wollte überhaupt nicht bei dir ausziehen. Niemals. Das weißt du doch. Ich bin
überhaupt kein blöder Schmetterling. Ich … ich kann auch mit Dani reden, wenn du
magst. Ich kann ihm erklären, wie alles gelaufen ist und dass du es ihm sowieso
gerade sagen wolltest mit dem Baby. Dann vertragen wir uns alle wieder, ja? Bitte
rede endlich mit mir …«
Mein Selbstmitleid
wächst mit jeder Minute. Ich fühle mich wie früher, wenn meine Mutter mich zu Unrecht
ausgeschimpft hatte. Klein und jämmerlich!
Vicki ruft
nicht zurück. Muss ich heute Nacht unter einer Brücke schlafen oder ohne Pause U-Bahn
fahren? Es sieht ganz danach aus. Na ja, ich könnte zur Not auch in ein Hotel gehen.
Aber wie blöd ist das denn? In seiner eigenen Heimatstadt im Hotel wohnen! Ins Theater,
um in meiner Werkstatt zu schlafen? Nee, das ist alles großer Quatsch. Ich möchte
gar nicht allein irgendwo herumhängen und meinen Kopf in der Nacht traurig auf ein
fremdes Kissen legen. Ich will bei einem lieben, lebendigen Menschen sein, bei einem,
der mich versteht, der mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass alles wieder gut
wird. Also weitertelefonieren.
Lila ist
ebenfalls nicht zu erreichen. Wahrscheinlich gibt sie wieder einen Nähkurs. Jola
geht zwar ans Telefon, aber sie ist gerade in Polen. Oma besucht Margret an der
Ostsee. Tinas
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