Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
dachte ich an unsere letzte Begegnung. Und wie er den Arm um mich gelegt hatte.Roman Sartorius. Was hatte er mir noch alles verschwiegen? Und warum? Einen Augenblick wurde mir fast schwindlig. Was, wenn es etwas gab, etwas Unglaubliches, etwas Schreckliches, irgendetwas, was
ich
nicht wusste, er aber schon? Und dann dachte ich plötzlich an all die Male, bei denen ich mich beobachtet gefühlt hatte. Vielleicht hatte ich mich deswegen beobachtet gefühlt,
weil mir tatsächlich jemand gefolgt war
?! Mein Unbehagen wuchs. Ich saß wie unter einer Glasglocke, die Luft wurde dünn und dünner und ich versuchte hindurchzusehen, aber es war, als würde ich durch einen Flaschenboden blicken. Man erkennt zwar Farben und Formen und alles ist irgendwie da, aber völlig verzerrt. Ich atmete tief ein und aus. So konnte es nicht weitergehen. Ein Schnitt musste her, Klarheit, Endgültigkeit. Nein, dachte ich, während ich mich zur Ruhe zwang. Dieses Mal würde ich mich nicht von seinem Charme einlullen lassen. Dieses Mal würde ich nüchtern und sachlich bleiben und mein Ziel im Auge behalten. Ich würde die Wirkung, die er ganz offenbar auf mich hatte, ignorieren und mich vor allen Dingen nicht mit windigen Erklärungen abspeisen lassen!
    Pünktlich um zehn schlüpfte ich durch den schweren Vorhang aus rotem Samt. Sartorius saß schon da, an genau demselben Tisch, auf demselben Platz, an dem er im Dezember, bei unserem ersten Gespräch, gesessen hatte. Er hielt den Blick gesenkt auf ein Blatt Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag, und las, daher hatte ich Gelegenheit, ihn einen Moment lang zu betrachten, bevor er die Augen heben und mich erblicken würde. Ganz gegen meinen Willen nahm mir sein Anblick für einen kurzen Moment den Atem. Befremdet registrierte ich, wie mein Herz zu hämmern begann und wie meine Hände flatterig wurden. Wie konnte es ein, dass mein Körper derartig auf diesen Mann reagierte, dass er bereit war, alle Bedenken, die ich eben noch gehabt hatte, über Bord zu kippen und sich mit fliegenden Fahnen zu ergeben! Ich ballte die Hände zu Fäusten und begann auf ihn zuzugehen. Und als spürte erdie inneren Turbulenzen, die sich auf ihn gerichtet hatten, sah er hoch und blickte mir entgegen. Ohne zu lächeln. Als ich an seinem Tisch angelangt war, erhob er sich, ganz Kavalier der alten Schule, half mir aus dem Mantel und rückte mir den Stuhl zurecht.
    »Aus welchem Teil von old Europe kommen Sie denn
diesmal
?« Ich bemühte mich, meine Stimme so eisig wie möglich klingen zu lassen.
    »Aus Deutschland. Ich hatte dort zu tun.«
    Der Ober, derselbe wie beim letzten Mal, kam und ich bestellte ein Wasser.
    »Kein Kaffee im Kaffeehaus?« Er lächelte, in Anspielung auf unser letztes Treffen.
    Ich lächelte nicht. »Nein.«
    »Und sonst?«
    »Auch keine Zigarette, wenn Sie das meinen.«
    »Immer noch clean?«
    Ich ging nicht darauf ein, das Wasser kam und ich nahm einen Schluck. Fixierte Sartorius wie ein Insekt unter dem Mikroskop und sagte dann schneidend: »Warum waren Sie in Hohehorst?«
    Einen Augenblick war es still, ich sah Verblüffung in seiner Miene, oder war es Wachsamkeit? Dann antwortete er, ohne mit der Wimper zu zucken: »Aus demselben Grund wie Sie.«
    »Und der wäre?«
    »Back to the roots, würde ich sagen. So heißt es doch auf Neudeutsch, oder?«
    »Sie haben mir nichts davon gesagt. Das letzte Mal.«
    »Hätte ich das tun müssen?«
    »Ich hätte es als passend empfunden. Als ich Ihnen erzählte, dass ich dorthin fahren würde.« Wieder durchbohrte ich ihn mit meinem Blick. Doch er schien nicht weiter beeindruckt zu sein. Und dann sah ich etwas in seinen Augen, er schien belustigt. War ich etwa dabei, mich lächerlich zu machen? »Ich finde, Sie hätten es mir sagen können.«
    »Vielleicht hätte ich das tatsächlich. Aber   …«, er machte eine wegwerfende Geste, »ich habe es eben nicht getan.«
    Ich war aus dem Konzept gebracht. Er reagierte so ganz anders auf meine Eröffnung, als ich gedacht hatte. Aber was hatte ich denn überhaupt erwartet?
    »Wussten Sie, dass meine Großmutter und Ihr Vater ein Liebesverhältnis hatten?«
    Jetzt war es mir also doch noch gelungen, ihn aus dem Konzept zu bringen. Er starrte mich an, mit halb offenem Mund, doch ich hatte trotzdem Zweifel. Wusste er das bereits und war nur verblüfft darüber, dass ich es nun auch wusste?
    Zögerlich sagte er: »Ich wusste, dass es Zeiten gegeben hat, in denen meine Mutter nicht besonders gut auf meinen Vater zu

Weitere Kostenlose Bücher