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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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küssen.«
    »Ja, das hat er!«, brach es aus mir heraus. »Dein feiner Herr Doktor!«
    Hanna musterte mich noch einen kurzen Augenblick, dann verzog sich ihr Mund zu einem gezwungenen Lächeln. »Tja, so ist er eben. Lässt nichts anbrennen.«
    Entgeistert sah ich sie an. Meine Worte verhaspelten sich ineinander, als ich sie fragte: »Aber   … wie   … kannst du denn so etwas sagen? Macht dir das denn gar nichts aus?«
    Sie grinste schief, schien zu überlegen. Schließlich zuckte sie die Achseln und sagte schlicht: »Was ist schon ein Kuss!« Damit schien dieses Problem für sie erledigt und sie bemühte sich nun, mir ihre Rolle in dem Ganzen zu erklären. »Wir haben uns darüber unterhalten, was wir tun würden   … nach dem Krieg. Und irgendwann sind wir auf dich gekommen. Er hat mich gefragt, was du vorhast, in Zukunft. Ob du heiraten würdest. Ich hatte angenommen, er sei   … wohlwollend. Ich hatte geglaubt, er möchte, dass es dir gut geht. Und irgendwann habe ich gesagt, dass du dich so an Paulchen freust und welch ein Trost er dir ist und dass er so aussieht wie sein Vater. Und das war alles, das musst du mir glauben.«
    Ich blickte sie an, sah, wie sie nachdenklich vor sich hin starrte. Konnte ich ihr glauben? »Aber   … woher hat er es dann?«
    Sie atmete tief ein und sagte mit beinahe tonloser Stimme: »Bei der Namensweihe   … in dem Gespräch mit Maximilian Fürst. Ich habe gehört, wie der Name fiel.«
    »Welcher Name?«, fragte ich.
    »Er sagte mir nichts, deshalb habe ich mir nichts dabei gedacht. Sie haben Erinnerungen ausgetauscht, über gemeinsame Bekannte gesprochen, und da kam die Rede auf   … einen Hans Wilhelm. Ich bemerkte, wie Heinrich hellhörig wurde bei dem Namen, und dann fragte er Maximilian Fürst nach seinem Aussehen.«
    »Er wollte wissen, wie Hans Wilhelm ausgesehen hat?« Ich starrte Hanna an. Fassungslos.
    Sie nickte langsam. »Ja. Er fragte genau nach   … ob es denn sicher sei   … groß und blond und blaue Augen   … es schien, als versuchte er sich zu erinnern, als kenne er ihn von früher.«
    »Und da er als Einziger hier Einblick in die Akten der Kindsväter hat, wusste er auch, dass Hans Wilhelm als Paulchens Vater eingetragen war. Nur dass er wohl zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, wie Wilhelm aussah. Durch Zufall sind sie auf ihn zu sprechen gekommen. Und dann ist er nach München gefahren, in die Zentrale, und wollte es genau wissen. Hat die Akten eingesehen, die rassische Beurteilung von Hans Wilhelm. Und wusste die Antwort: Der blonde Wilhelm kann unmöglich der Kindsvater des dunkeläugigen und dunkelhaarigen Jungen namens Paul sein.«
    »Und ich habe ihn draufgebracht, indem ich ihm von der Ähnlichkeit erzählt habe.«
    Plötzlich erstarrte ich. Etwas, das ich erst jetzt richtig einordnen konnte, fiel mir ein. Sartorius’ Besuch in meinem Zimmer, an jenem Abend, als er das Sternenbild gesehen und die Widmung auf der Rückseite gelesen hatte. Sollte es doch nicht Hanna gewesen sein, die Sartorius den entscheidenden Hinweis gegeben hatte? Eine Welle der Übelkeit stieg von irgendwoher empor und drohte mich hinwegzuspülen. Ich wischte mir über die Stirn und versuchte, eine Reihenfolge in die Ereignisse der letzten Zeit zu bringen. Doch meine Gedanken tanzten durcheinander und ich konnte Hannas fragenden Blick nur hilflos erwidern.
     
    Es dauerte einige Tage, bis er sich mir wieder näherte. Es war an einem grauen Mittwoch, an dem es schon in der Morgendämmerungzu nieseln begonnen hatte und Regen schräg über die Scheiben wischte. Nach dem Mittagessen holte ich Paulchen auf mein Zimmer, wo ich mich mit ihm aufs Bett setzte, ihn im Arm hielt und dem prickelnden Geräusch des Regens lauschte. Seit meinem letzten »Gespräch« mit Sartorius hatte ich unter einem dumpfen Druck gelebt, in der Erwartung nahenden Unheils. Zwei Tage lang war Sartorius in Hohehorst gar nicht aufgetaucht, doch am dritten Tag hatte man ihn gerufen, zu einer Geburt, die schwer zu werden drohte. Doch als ich ihm dann im Korridor begegnet war, hatte er mir nur schweigend zugenickt, was mich noch mehr verwirrt und in neue Unruhe versetzt hatte.
    Umso bestürzter war ich nun, als es klopfte und Sartorius, ohne auf meine Aufforderung zu warten, eintrat. Ich saß auf dem Bett, Paulchen an der Brust, und starrte ihn an.
    »Die deutsche Mutter mit ihrem jüdischen Bastard.« Er verzog das Gesicht zu einem Zähneblecken.
    Ich knöpfte meine Bluse zu, fahrig, ich zitterte so

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