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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sprechen gewesen war. Und dass ihre Ehe nicht das war, was man gemeinhin als harmonisch bezeichnet hätte. Ich habe damals nie besonders tief nachgebohrt, weil das alles ja weit vor meiner Zeit stattgefunden hatte. Was ich mir im Laufe der Jahre zusammengereimt habe, waren das Bild eines Vaters, der als Schürzenjäger erfolgreich gewesen war, und das einer Mutter, die durch ihren treulosen Ehemann gedemütigt worden war, ihn jedoch trotzdem über alles liebte. Seine Fotos bedeckten bei ihr bis zu ihrem Tod die halbe Wohnzimmerwand. Meine Schwester, sie ist zehn Jahre älter als ich, hat sein Verschwinden nie verwunden. Manchmal ist eine späte Geburt eine Gnade.«
    Ich beobachtete ihn, während er sprach, wie er den Blick auf die Tischplatte gesenkt hielt. Ich sah den schmerzlichen Ausdruck, der sich auf sein Gesicht legte, als er von seiner Mutter und den Bildern erzählte. Dieser Mann ist ein Schauspieler, schoss es mir unvermutet durch den Kopf. Aber dieses Mal werde ich nicht auf ihn hereinfallen. Und so schoss ich meine Frage ab: »Meine Mutter war bei Ihnen, in Miami, und Sie haben das alles schon vorher gewusst.«
    Er sah auf und sein Blick flackerte kurz, doch ansonsten war keine Regung erkennbar. Weder sah er ertappt noch schuldbewusst –und schon gar nicht wie jemand aus, der meine Mutter vom Balkon gestoßen hatte. O ja, er ist sogar ein hervorragender Schauspieler, dachte ich. Die Art, wie er fragt, vorsichtig, jemand, der sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen will.
    »Woher wissen Sie das?«
    Ich lächelte kalt. »Ich weiß es. Das muss Ihnen genügen.« Und dann setzte ich noch eins drauf – sollte er ruhig denken, dass ich noch viel mehr wusste – und führte aus: »Sie ist am 2.   Dezember zu Ihnen nach Miami geflogen.« Auf gut Glück fuhr ich fort: »Und am 3.   Dezember hat sie Sie aufgesucht.«
    Er schwieg und ich hatte das Gefühl, in seinem Blick etwas Abwartendes, ja Lauerndes zu entdecken. Er wollte ergründen, was ich noch alles wusste, wie viel. Leise sagte er: »Ihre Mutter war besessen.«
    Meine Augen mussten sich vor Erstaunen geweitet haben, darum fügte er erklärend hinzu: »Sie war auf der Suche nach ihrem leiblichen Vater und war der Überzeugung, dass irgendwo Aufzeichnungen existierten, die sie zu ihm hätten führen können.«
    Ich lachte verächtlich. »Für wie dumm halten Sie mich eigentlich! Das ist doch absurd. Ich meine, dass meine Mutter Sie nach all den Jahren aufsucht, noch dazu in Amerika, und glaubt, dass dort Originalunterlagen zu finden wären.«
    »So absurd vielleicht doch nicht«, entgegnete er und seine Stimme war fast ein Murmeln. Er verstummte und wartete eine Weile, bis er weitersprach. »Meine Mutter ist damals – nach seinem Verschwinden – mit Sack und Pack nach Amerika ausgewandert. Meine Schwester ist irgendwann wieder zurück nach Husum. Und ich ebenfalls. Nach dem Tod meiner Mutter. Ich wollte   … in der Nähe meiner Schwester sein.«
    »Aber wieso sollte Ihre Mutter derartige Unterlagen im Umzugsgut mitführen?«
    Er schwieg erneut und ich spürte, wie das Gefühl, an der Nase herumgeführt zu werden, stärker wurde und mein Zorn heißer. Was bildete sich dieser Adonis eigentlich ein! Glaubteer vielleicht, er könne mich mit ein paar tiefen Blicken und ein bisschen Larifari-Geschwätz abspeisen wie ein Besucher im Streichelzoo, der einem Esel den Rücken tätschelt und ihm eine Möhre hinhält! Ich herrschte ihn an: »Und auf den bloßen Verdacht hin soll meine Mutter – trotz ihrer massiven Flugangst – zu Ihnen nach Miami geflogen sein? Mal abgesehen von den Kosten. Das glauben Sie doch wohl selbst nicht!«
    Der Ober kam und fragte, ob wir noch etwas wünschten, ich presste die Lippen zusammen und sagte gar nichts, Sartorius schüttelte den Kopf, bedankte sich, der Ober nahm das leere Glas mit und verschwand wieder. Die ganze Zeit über ließ ich Sartorius nicht aus den Augen. Wir maßen uns stumm und irgendwann beugte er sich vor, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und vergrub das Gesicht in den Händen. Schließlich sagte er, so leise, dass ich ihn kaum verstand: »Also gut. Ich werde Ihnen sagen, was ich weiß. Aber es ist keine schöne Geschichte und es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen.«
    Er setzte sich auf dem Stuhl zurecht, faltete die Hände wie ein amerikanischer Fernsehgeistlicher und begann zu sprechen: »Es gab da diesen Artikel   … damals   … in einer dieser furchtbaren Boulevardzeitschriften. Das

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