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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Manchmal, wenn ich mich nicht beruhigte, durfte ich auf dem braunen Sofa in ihrem Schlafzimmer übernachten und fühlte mich dort so geborgen in dem Wissen, dass mir nun kein Leid geschehen konnte. Noch jetzt höre ich manchmal ihre Stimme, dir mir erklärt, dass die, die Übles im Schilde führen, nicht hier, in dieser Waldeinsamkeit zu finden waren, dass ich mich nicht zu fürchten bräuchte, denn die Unholde würden sich in den Straßen der Städte herumtreiben, aber nie und niemals die Mühe der weiten Fahrt auf sich nehmen. Weil es hier für sie nichts, weniger als nichts, zu holen gäbe. Und auch jetzt beruhigte mich ihre Stimme aus der Erinnerung heraus, denn mein Verstand sagte mir, dass es so und nicht anders war, dass Oma Charlotte recht hatte. Und so legte ich noch einmal ein paar Holzscheite in die Glut, wartete, bis die Flammen an ihnen emporleckten, und setzte mich dann wieder in den Sessel davor, um endlich bis zum Ende zu lesen.

 
    Passend zu dem Anlass wählte ich ein schwarzes Kleid mit einem tiefen Dekolleté und zurrte mir den breiten Gürtel eng um die Taille. Ich steckte mir das Haar hoch und legte eine hauchdünne Kette an, mit einem winzigen Medaillon, in dem eine Fotografie Lillis steckte. Das Medaillon würde mich daran erinnern, warum ich das alles tat.
    Ich entkorkte den Rotwein, stellte den Sherry bereit und begann die Vorspeise, die ich zu Hause zubereitet hatte, auf einer Platte anzurichten: Bärlauchpastete und Lachs in Blätterteig, die ich dann, wenn er käme, noch einmal kurz im Backofen anwärmen würde. Als ich das Besteck zum dritten Mal gerade gerückt hatte, die weißen Leinenservietten zurechtgezupft und erneut Lippenstift aufgelegt hatte, setzte ich mich vor den Kamin. Alles war vorbereitet. Es gab nichts mehr zu tun, außer zu warten.
    Als das Feuer längst heruntergebrannt war, die Uhr zeigte inzwischen kurz nach zehn, hörte ich den Wagen. Zuerst ein vages, entferntes Motorengeräusch, das näher kam, lauter wurde und schließlich ganz verstummte. Das musste er sein. Ich spähte durch den Vorhang und sah, dass er mit einem Taxi gekommen war. Ich wartete, bis er bezahlt hatte und ausgestiegen war und bis die Rücklichter des Taxis in der Dunkelheit verschwanden. Dann öffnete ich. Einen Moment lang sagte keiner von uns ein Wort, seine Augen verweilten kurz in meinen, mit jenem süffisanten Lächeln, das ich fürchtete und hasste, dann tasteten sie über meinen Körper. Sein Lächeln wurde breiter, als er sagte: »Das ist nach dieser langen Reise ein erfreulicher Anblick.«
    Am liebsten hätte ich nach irgendetwas gegriffen und ihm den Schädel gespalten, so stark wallte der Hass in diesem Momentin mir auf. Doch ich erwiderte sein Lächeln und sagte sanft: »Das hatte ich gehofft.«
    Ich trat zur Seite und er ging an mir vorbei ins Haus.
    Ich kann mir nicht erklären, woher ich in jener Nacht die Kraft nahm. Ich weiß nur, dass es mir irgendwie gelang, in die Rolle zu schlüpfen, die ich für mich selbst geschrieben hatte.
    »Du möchtest dich sicher gerne etwas frisch machen«, sagte ich und schlug die Augen nieder.
    Als er wiederkam, war er frisch rasiert und trug ein blütenweißes Hemd. Er roch nach Seife und Rasierwasser. Auf meinen hohen Absätzen stolzierte ich hüftschwingend wie eine Diva zur Anrichte, in der Hoffnung, dass er meinen Auftritt für überzeugender hielt als ich selbst.
    Ich zündete die Kerzen in den Leuchtern an, griff nach der Kristallkaraffe, die ich mit dem Sherry befüllt hatte, und schenkte uns beiden ein. Ich ging auf ihn zu, wobei er mich keine Sekunde aus den Augen ließ, und reichte ihm sein Glas. Der Sherry schimmerte im Kerzenlicht, als er plötzlich sagte: »Dieser Sinneswandel überrascht mich doch sehr.«
    »Die Zeiten ändern sich. Und manchmal auch die Menschen.«
    Er nahm das Glas, hielt es gegen das Licht. Der Sherry funkelte rot und verheißungsvoll, wie farbiges Kristall.
    »Vielleicht hängt das mit dem Namen zusammen.« In seinen Augen funkelte es. Ich lächelte ihm zu, fühlte Übelkeit in mir aufsteigen, die mich einen Augenblick lang zu überwältigen drohte. Das Glas in meiner Hand zitterte ebenso wie mein Atem.
    »Warum so aufgeregt, Hanna? Schließlich sind wir doch fast so etwas wie alte Freunde, nicht wahr?«
    Er kam näher und küsste mich auf die Lippen, es war ein flüchtiger, fast nachlässiger Kuss. Dann prostete er mir zu und sagte: »Auf Lilli, unsere Tochter.«
    Als ich das Glas an die Lippen hob und trank, sah

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