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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Stimme klang gepresst: »Damit hätte ich nun bei einer Persönlichkeit wie Ihrer Mutter nicht gerechnet.«
    »Nein   … damit hat wohl keiner gerechnet. Trotzdem ist es das, was die Polizei glaubt. Aber bitte, können Sie mir nicht sagen, wobei Sie meine Mutter vertreten haben?«
    Er schwieg und schien zu überlegen, ob er mir glauben sollte. »Schicken Sie mir bitte eine beglaubigte Ablichtung der Sterbeurkunde   … und eine Kopie Ihrer eigenen Geburtsurkunde. Sowie ich die Unterlagen vorliegen habe, werde ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen. Aber vorher   … tut mir leid, ich bin zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das werden Sie sicher verstehen.«
    Ich verstand gar nichts, trotzdem sagte ich leise: »Ja.«
     
    Der Trauergottesdienst war eine Versammlung von Krähen. Ich saß in der Kirchenbank, in der ersten Reihe, und war froh, dass ich nach vorne schauen durfte und niemand außer dem Pfarrer und den Ministranten mein Gesicht sehen konnte. Die Worte umflossen mich als sinnlose Aneinanderreihung von Lauten, sie hatten keine Bedeutung für mein eigenes Leben. Wolf saß neben mir und meine Hand verschwand in seiner, dennoch schien auch er mir merkwürdig weit weg. Ich fragte mich, ob ich nicht vielleicht träumte und gleich wieder aufwachen würde, geweckt von einem gnädigen Gott. Und jetzt hörte ich tatsächlich, wie der Pfarrer etwas von Gottes großer Gnade sagte, die unendlich war.
Zum Paradiese mögen Engel dich geleiten.
Ich bin kein großer Kirchgänger, aber auch kein militanter Gegner der Institution Kirche. Hin und wieder setze ich mich, wenn ich in einer Stadt unterwegs bin, in eine Kirche, sehe mich um oder schließe die Augen und lasse die Weite und die Leere des Kirchenschiffes in mir nachhallen. Ich atme den Duft von Stein und Tod, von verloschenen Kerzen und Weihrauch. Und wenn ich bei meinem Eintritt merke, dass gerade ein Gottesdienst oder eine Messe abgehalten wird, setze ich mich manchmal hinten in die letzte Bank und fühle mich beinahe als Teil einer gesichtslosen Gemeinde, zu der ich doch nicht gehöre und auch nicht gehören will. Und hin und wieder, aber eher selten, sagt ein Priester oder ein Pastor etwas, was mich berührt.
    Aber die Worte über die Gnade, die jetzt aus dem Munde des Pfarrers drangen, erschienen mir auf einmal unpassend, unpassend und schal und auch verlogen, und ich fragte mich, wo Gottes Gnade gewesen war, als meine Mutter auf den Steinplatten ihres Hinterhofs aufschlug.
    Eine Stunde später stand ich in Mutters Wohnung und sprach mit Fremden und Halbbekannten aus einer längst vergangenen Zeit, die mir versicherten, wie sehr sie Mutter geschätzt hatten und wie sie ihren trockenen Humor geliebt hatten.
    »Es war für uns alle ein großer Schock«, sagte gerade LoreKlopstock, die inzwischen das Krankenhaus verlassen hatte, in die Sonnenstrahlen hinein. Lore Klopstock war eine von Mutters »ganz alten« Bekannten, ich hatte sie schon früher gesehen, vielleicht auch mehrmals, doch zu sagen, ich hätte sie gekannt, wäre übertrieben gewesen. Sie und Mutter hätten beide ein Abonnement fürs Volkstheater gehabt, sie hätten schöne Zeiten miteinander erlebt, viel gelacht. Ich nickte, ganz die brave und fürsorgliche Tochter.
    »Ich kann das immer noch nicht begreifen. Diese Endgültigkeit«, fuhr Lore fort und schaute betrübt, das Kinn in Fett versenkt. Sie sah ungesund aus, teigig, bleich. »Sie war so eine gute Beobachterin, Ihre Mama, sie bekam alles mit. Und sie kommentierte es auf eine so komische und unnachahmliche Weise, dass ich manchmal Tränen gelacht habe.«
    Lore Klopstock nahm ein rötlich-weißes Kanapee und biss hinein. Krümel fielen auf Mutters Orientteppich. Kauend sagte sie: »Sie hat manchmal von Ihnen gesprochen, sie war sehr stolz auf Sie.«
    Das nächste Kanapee, grün und weiß, verschwand in ihrem Mund, diesmal ganz. Ich hätte sie gerne gefragt, ob sie das essen durfte, wegen der Diabetes und so, aber ich verkniff mir die Frage und lächelte stattdessen zurück. Und dann fiel mir ein, dass ich sie nach dem Umschlag fragen wollte. Vielleicht wusste sie ja auch von dem Manuskript. Doch gerade als ich zu sprechen anhob, hörte ich sie sagen: »Aber Sie hatten ja so
selten
Zeit für Besuche, na ja,
schade
, aber bei
diesem
Beruf kein Wunder! Wenn man
erfolgreich
sein will, muss man etwas dafür
tun
, sage ich immer.«
    Noch bevor ich ahnte, was sie als Nächstes sagen würde, begann es in meinem Ohr zu summen.
    »So

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