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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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gewohnten Dialogen zurück: »Guck doch nicht so skorbutisch«, sagte Wolf betont scherzhaft, nachdem ich auf seine Ansage, er müsse demnächst nach Bad Tölz, ein bayerisches Orgelgehäuse warte darauf, von ihm marmoriert zu werden, offenbar nicht sonderlich begeistert dreinschaute.
    Ich ignorierte seinen Versuch, lustig zu klingen, und sagte betont cool: »Das kann
dir
natürlich nicht passieren«, und blickte auf seinen Bauch, der deutlich über seinen Gürtel schwappte.
    »Bin ich dir zu dick, oder was?« Auch aus seiner Stimme war die Scherzhaftigkeit nun verschwunden.
    »Bin
ich
dir zu dünn?«
    Man hätte annehmen sollen, dass der Mensch im Angesicht der Endlichkeit des Lebens etwas näher an seinen Nächsten heranrückt und milder gestimmt ist. Bei Wolf und mir war das nicht der Fall. Die Angelegenheit eskalierte zu einem Streit und Wolf schnappte schließlich seine Tasche, verließ wortlos die Wohnung und knallte die Tür so laut hinter sich zu, dass die Wände bebten.
    Ich würde ihn also nicht zum Flughafen bringen, na schön, es gäbe keinen Abschiedskuss, na und. In ein paar Tagen würdenwir uns sowieso wiedersehen, ich käme zurück, wir würden uns wieder vertragen und alles wäre so wie immer. Nur dass ich dann ohne eine Mutter irgendwo im Hintergrund weiterleben würde, so war es eben. Doch in dem Moment erschien auf meiner Netzhaut das Bild eines irgendwo in den Alpen zerschellten Flugzeugs. Zunächst schob ich es energisch beiseite, doch es war hartnäckig und kam immer wieder. Als ich kurze Zeit später in meine Stiefel stieg, die Tür zuwarf und die Treppe hinunterpolterte, fluchte ich vor mich hin. Ich rannte die ganze Strecke bis zur U-Bahn . Und als ich ihn auf einer Bank am Bahnsteig sitzen sah, die Tasche auf dem Schoß, bekam ich vor Erleichterung ganz weiche Knie. Was waren wir für verstockte Idioten, dieser riesenhafte, zu Übergewicht neigende Mann dort auf der Bank, und ich, seine skorbutische Freundin.
     
    Auf der Rückfahrt vom Flughafen saß ich am Fenster, Fragmente einer Landschaft zogen an mir vorüber und ich war erleichtert, den drohenden Flugzeugabsturz noch einmal abgewendet zu haben. Es hatte zu regnen begonnen, die Raffinerie hinter Schwechat mit ihrem Gewirr aus tausend grauen Rohren glitt an mir vorbei, dann der Zentralfriedhof, eine Insel der Stille, nassgrau. Die Stadt versank in Trübsinn. Doch waren das Grau und die Schatten mir allemal lieber als dieser vor Frohsinn und Unschuld strotzende Sonnenschein der letzten Tage. Beim Anblick der Friedhofsmauer dachte ich flüchtig daran, dass ich es in der Hand gehabt hätte, Mutter hier bestatten zu lassen. Dann hätte ich immer einen Grund gehabt wiederzukommen und durch die Grabreihen zu streifen, mit einem Ziel. Ich wüsste keinen Ort, der mich ruhiger und heiterer stimmen könnte als der Zentralfriedhof. Dort gibt es die herrschaftlichsten Gräber, die buntesten Blumen, die traurigsten Inschriften, den verwittertsten Stein. Und den jüdischen Teil, den ich am meisten liebe. Dieses Bild des Todes vor Augen zu haben, tröstet mich und wiegt mich in derSicherheit, dass am Ende doch Frieden steht. Auch will ich glauben, dass das das endgültige Ende ist. Dort zu liegen, in der kühlen Erde, ohne ein Bewusstsein, ohne Freude und ohne Schmerz, ein Niemand, in der völligen Ruhe und Eintönigkeit der Tage. Nicht an die Auferstehung möchte ich glauben, sie macht mich nervös, ich will dann nirgends mehr hin. Ich will auch kein Tropfen sein im Meer, wie die Buddhisten glauben. Ich will einfach meine Ruhe haben. Wie Mutter nun.
     
    In einer Seitenstraße der Mariahilfer kaufte ich ein, Orangen und Mandarinen, Butter und Brot, Wasser und Wein, zwei Flaschen. Mit meinen Tüten, in jeder Hand eine, strich ich vorbei an den verrammelten Buden des Spittelberger Weihnachtsmarkts, der erst am frühen Nachmittag seine Türen öffnen würde und der im Regen ein tristes Bild abgab. Noch drei Wochen bis Heiligabend, dachte ich. Vor der Eingangstür zu Mutters Wohnung, die jetzt mir gehörte, lag ein Päckchen von
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. Das mussten die Bücher über den Lebensborn sein, die ich bestellt hatte, alles in allem vier. Mit einer Tasse Malventee setzte ich mich ans Fenster, blätterte ein wenig in einem Buch herum, ließ es aber bald sinken und beobachtete stattdessen den Regen, der wie ein Vorhang aus transparentem Lametta vom Himmel herabhing. Flüchtig dachte ich an den Umschlag mit dem Schlüssel und dem Bild und dass ich es versäumt

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