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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ein
aufregender
Beruf, aber das geht natürlich auf Kosten der Familie, ich habe das schon immer bei Ihrer Mutter gedacht, leider kann man im Leben nicht alles haben, aber jetzt erzählen Sie doch mal, wo haben Sie denn schon überall gedolmetscht?«
    Ich musste sie bestürzt angesehen haben, denn der Ausdruck in Lore Klopstocks Augen veränderte sich, und als sie nun fragte, war ihre Stimme misstrauensgeschwängert: »Sie sind doch auch Konferenzdolmetscherin, wie Ihre Frau Mutter?«
    Das Summen in meinem Ohr wurde stärker, als ich meinerseits mit einer Frage antwortete: »Hat meine Mutter Ihnen
das
gesagt?«
    »Aber ja! Es war ihr sichtlich unangenehm, mir von Ihren Erfolgen zu erzählen, aber ich war doch so
neugierig
«, kicherte Frau Klopstock. Und ehe ich antworten konnte, fuhr sie bereits fort: »Ein, zwei Tage vor ihrem Tod habe ich sie noch
getroffen
. In der
BAWAG
, in der Mariahilfer Straße, ich kam gerade vom Schalter, als sie hereinkam. Ich habe dann zu ihr gesagt: Ja, halloo und so, und dass ich mich freue, sie zu treffen, und dass wir doch mal wieder zusammen etwas unternehmen sollten und dass ich gar nicht
wusste
, dass auch sie das Konto hier hat und   …«
    »Ach ja.« Ich atmete tief, spürte, wie Hitze in mir aufstieg. Ich hatte Mühe, das eben Gehörte zu verarbeiten, vielleicht hatte ich auch etwas missverstanden, aber was gab es da schon falsch zu verstehen: Mutter hatte vor ihren Freundinnen, zumindest vor einer, von meinen
Erfolgen als Konferenzdolmetscherin
berichtet! Ich nahm einen großen Schluck Barolo – die Ansprache hatte ich hinter mir und nun ging es nur darum, dieses Gespräch und die Zeit bis zum Verschwinden der Gäste durchzuhalten. Ich atmete tief durch, soweit das in dem stickigen Raum voller Menschen möglich war, und versuchte, ruhig zu bleiben. In der Zwischenzeit plapperte mein Gegenüber weiter: »…   gebe ich aber zu   … etwas
anderen
Eindruck als sonst   … nicht so gut kennen   … vielleicht sogar ängstlich   …« Lore Klopstock hielt inne.
    Die plötzliche Stille oder etwas in Frau Klopstocks Worten ließen mich aufhorchen. Was hatte sie eben gesagt?
    »Äh   … wie bitte? Ich war einen Moment lang abwesend, verzeihen Sie.«
    »Ich sagte gerade, dass Ihre Frau Mutter, als ich sie in der
BAWAG
traf, einen seltsamen Eindruck auf mich machte. Sie war ganz anders als sonst, und wenn ich sie nicht so gut kennen würde   … äh, gekannt hätte   … dann würde ich sagen, sie machte einen etwas
ängstlichen
Eindruck.«
    Jetzt hatte sie meine volle Aufmerksamkeit, was ihr zu gefallen schien. Denn sie fuhr fort und in ihren Augen stand ein aufgeregter Glanz: »Ja, irgendwie nervös und gehetzt, obwohl gerade sie sich doch nicht hetzen ließ, ich habe sie jedenfalls noch nie so erlebt. Für sie hat es doch gar nicht lebendig
genug
sein können. Ach, ich weiß auch nicht, vielleicht fange ich jetzt auch an zu faseln, was bei mir keine Seltenheit ist, jedenfalls tue ich mir schwer, das zu verarbeiten. Dass sie so etwas
getan
haben soll. Wenn so ein Mensch wie Ihre Mutter, ich meine, eine so starke und in sich gefestigte Persönlichkeit einfach die Waffen streckt   … ja, dann ist das eine große Entmutigung für uns alle.«
     
    Im Laufe der Trauerfeier sprach ich noch mit vielen, natürlich auch mit Erna Buchholtz, die mir und Wolf in den letzten Tagen eine große Hilfe gewesen war. Mein Ohr hatte das Summen eingestellt und irgendwann stand ich bei einem älteren Herrn mit schütterem Haar, der mir vage bekannt vorkam. Sein rundlicher Bauch steckte in einem eleganten schwarzen Jackett, er rauchte, und während ich noch rätselte, wo ich den Mann schon einmal getroffen hatte, stellte er sich mir als Dr.   Prohacek vor: der Arzt, der Mutter in den letzten Monaten betreut hatte und den sie wohl auch privat gekannt hatte. Wolf gesellte sich gerade zu uns, als Dr.   Prohacek sagte: »Liebe Frau Sternberg, ich möchte Ihnen mein tiefes Beileid aussprechen, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie   … Als Arzt ist man ja einiges gewohnt, doch einen lieben Menschen auf diese Weise zu verlieren   …« Seine Stimme erstarb, er blinzelte und ich wusste nicht, ob die Sonne ihn blendete oder ob ihm Zigarettenrauch in die Augen gekommen war.
    »Sie kannten meine Mutter gut?«
    »Nun ja, Lilli war seit Jahren meine Patientin. Oft war sie nicht krank, ein paarmal ist sie bei mir gewesen wegen einer hartnäckigen Bronchitis. Vor zehn Monaten habe ich dann den Krebs bei

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