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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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wir zu zweit für die eine oder andere kleine Arbeit eingeteilt wurden. Von ihrer Schwangerschaft – und wie es dazu gekommen war – erzählte sie nur einmal und auch sehr oberflächlich. Und sie fragte auch mich nicht aus, um zu hören, wie es mir ergangen war. Für Hanna und mich gab es so viele andere Themen, dass ich heute – im Nachhinein – verwundert darüber nachdenke, wie wir uns so viel erzählen konnten, ohne das Wesentliche in unser beider Leben je zu berühren.

 
    Beim Frühstück ruhte Wolfs Blick auf mir. Ohne Worte musterte er mich, versuchte meine Befindlichkeit zu ergründen. Übermäßig alarmiert wirkte er nicht. Warum auch? Ich hatte nur einen Albtraum gehabt. Und jetzt war Tag und die Sonne schien, eine eisige und glitzernde Sonne, denn es hatte über Nacht geschneit. Beim Anblick der weißen Schneehauben, die die Dächer gegenüber zu beschützen schienen, war ich dankbar dafür, dass mich dieser verspätete Weihnachtszauber nicht unterwegs erwischt hatte – mit meinen Sommerreifen wäre ich da in Schwierigkeiten gekommen. Andererseits fühlte ich auch so etwas wie Ungeduld darüber, dass mir jetzt, wo ich beschlossen hatte, wieder alltagstauglich zu werden, der Schnee im Wege stehen sollte. Ein milder Vorfrühlingswind hätte viel besser zu meiner geplanten Katharsis gepasst.
    Nach der zweiten Tasse Kaffee fragte mich Wolf: »Was ist mit dir? Bist du krank?«
    Ich schenkte mir die dritte Tasse ein und sah missmutig hinein. Ich fühlte mich zerschlagen und überfordert. Zerschlagen deshalb, weil der Ramazotti und meine Träume mir nicht bekommen waren. Überfordert bei dem Gedanken an die Tage, die jetzt vor mir lagen, endlos und quälend – das Leben ohne Nikotin.
    »Ich habe beschlossen, mit dem Rauchen aufzuhören«, sagte ich und kam mir dabei pathetisch und überheblich vor.
    Doch Wolfs Blick spiegelte nur Überraschung. Er fragte: »Und   … wie wirst du das machen?«
    »Na, wie das halt so ist, wenn man mit etwas aufhört: Man lässt es einfach sein!«
    »Aha.« Er klang nicht überzeugt. Nach einer Weile fragte er: »Der Entschluss ist ziemlich plötzlich gekommen oder denkst du schon länger darüber nach?«
    »Gestern«, brummte ich nur. Ich war in denkbar schlechter Stimmung und hatte wenig Lust, darüber zu sprechen. Dafür war meine Lust auf eine Zigarette umso größer.
    Wolf schien das zu spüren, es war ja auch nicht allzu kompliziert, und er wechselte das Thema: »Wie war denn deine Fahrt gestern?«
    »Gut.«
    »Ich habe gesehen, dass du Fotos mitgebracht hast. Und Briefe.«
    »Hm.«
    »Willst du ein paar von den Bildern aufhängen?«
    »Na ja   … vielleicht. Ich weiß nicht.«
    Wolf sah mich an, stellte die Tasse ab, sie war groß und gelb und leuchtete in der Morgensonne, und meinte dann: »Wenn es etwas gibt, was du mir sagen möchtest   …«
    Ich sah ihn stumm an und nickte. Als ich jedoch nichts sagte, weil ich nicht wusste, wo ich beginnen sollte, verkündete er unvermittelt: »Ich habe einen neuen Auftrag. Eine Orgel in Bad Tölz.«
    »Toll.«
    »Ja, die Arbeit wird wohl ein halbes Jahr dauern.«
    »Dann sehen wir uns nur am Wochenende?«
    »Sieht wohl so aus. Außer ich hör mich nach Arbeit für dich dort um   …«
    »Nö, lass mal. Ich muss ja jetzt erst mal Johns Wohnung angehen.«
    »Ja, das ist inzwischen überfällig, da hast du recht.«
    Irgendetwas lag in der Luft, ich konnte nicht sagen, was, aber es war dumpf und es gefiel mir nicht. Irgendwas war da in Wolfs Stimme, in seinem Tonfall, in seinem Blick. Doch statt ihn darauf anzusprechen, fragte ich nur: »Wann geht’s los in Tölz?«
    »Gleich heute.«
    »Na, das ist ja mal flott. Seit wann weißt du denn von dem Auftrag? Doch nicht erst seit gestern?«
    »Gefragt haben die mich schon vor Weihnachten, das hab ich dir doch am Telefon erzählt. Aber gestern hab ich mir die Orgel mal angesehen.«
    »Du warst gestern in Tölz? Warum hast du mir das nicht gesagt?«
    Er sah an mir vorbei, aus dem Fenster. Die Morgensonne lag auf seinem Gesicht und er kniff die Augen leicht zusammen und blinzelte. Sein Haar und sein Bart leuchteten wie Kupfer, nur an den Schläfen waren schon vereinzelte graue Strähnen sichtbar. Ich schluckte. Das seltsame Gefühl in mir verstärkte sich. Und wie zur Bestätigung hörte ich ihn plötzlich sagen, und seine Stimme klang stumpf und auch ein wenig rau: »Hätte es dich denn interessiert?«
    Und trotz der Vorahnung, die mich beschlichen hatte, trafen mich seine Worte

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