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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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etwas wie »Moment« gesagt haben, dann war er plötzlich wieder da, klarer und deutlicher jetzt.
    »Ich bin im Auto unterwegs. Die Verbindung kommt mir ziemlich löchrig vor   … Hallooo?«
    Mein Herz hämmerte jetzt wie wild und fast atemlos antwortete ich: »Ich bin noch dran   … ja.«
    »Ah, gut, also, ich bin ein paar Tage in Deutschland und wollte mich einfach mal bei Ihnen melden. Wie geht’s denn so?«
    »Ich   … Können wir über etwas anderes sprechen?«
    »So schlimm?«
    »Ich habe aufgehört zu rauchen.«
    »Aber das ist doch eine gute Nachricht! Gratuliere, dass Sie sich dazu durchgerungen haben. Ist ja nicht ganz einfach.«
    Ich grunzte nur. Langsam hatte ich mich wieder im Griff.
    »Wie lange sind Sie denn nun schon ohne Nervengift?«
    »Ach, lassen wir das Thema lieber.«
    »Oh.«
    »Ja.«
    »Nun.«
    Ein Schweigen entstand, das sich ins Unendliche auszudehnen schien. Schließlich sagte er: »Wie gesagt: Ich wollte nur mal hören, wie es Ihnen geht.«
    Auf einmal wurde mir bewusst, wie seltsam stockend dieses Telefonat verlief. Und dass er mich vielleicht für unhöflich, abweisend oder – noch schlimmer – gehemmt halten könnte. Also fragte ich formvollendet: »Wie geht es
Ihnen
denn? Wie war Ihre Zeit in Wien?«
    »Ach, wissen Sie   …«, sagte er und seine Stimme verrann im Rauschen der Verbindung. Plötzlich tat er mir leid. Sicher hatte unser Gespräch in Wien alte Wunden aufgerissen. Hastig fragte ich: »Wo sind Sie denn gerade?«
    »In München. Auf einem Ärztekongress.«
    Auf einmal hörte ich wieder Motorengeräusch im Hintergrund, es rauschte und ich hörte, dass er etwas sagte, verstand aber wieder kein Wort. Ich rief »Hallo?«, es knackte noch einmal und plötzlich war die Verbindung wieder ganz klar. Sartorius rief gerade: »Halloo? Hören Sie mich jetzt besser?«
    »Ja, ja, jetzt geht’s besser.«
    »Ich habe angehalten.«
    Und auf einmal hörte ich mich sagen, selbst ein wenig überrascht von meiner eigenen Offenheit: »Ich war im Haus meiner Großmutter, über die Festtage, und habe etwas gefunden, das Ihr Vater geschrieben hat.«
    »Aha.« Lag da eine gewisse Anspannung in seiner Stimme? »Eine Grußkarte, zur Namensweihe.«
    »Ach so. Ich dachte schon   … Aber man hört eben nie auf   …«
    »Sie dachten, die Karte wäre   … später geschrieben, nach 1950?«
    »Im ersten Moment, ja.«
    »Tut mir leid, nein. Sie ist von 1944.«
    »Sie sehen, wie stark die Bereitschaft des Menschen ist, an Wunder zu glauben. Dabei wusste ich doch, dass mein Vater und Ihre Großmutter sich von Hohehorst her kannten.« Seine Stimme klang ironisch, ein wenig bitter.
    »Na ja, da gibt’s doch diesen Spruch: Die Hoffnung stirbt zum Schluss.«
    »Ob ich   …«, setzte er an. Offenbar wusste er nicht, wie er fortfahrten sollte, und so beendete ich den Satz für ihn.
    »…   sie sehen kann? Das war es doch, was Sie fragen wollten.« Plötzlich spürte ich, wie mein Herzschlag sich wieder beschleunigte.
    »Wenn das geht.«
    »Warum sollte das nicht gehen?« Ich sprach betont ruhig, merkte aber, wie meine Hand den Hörer fester umklammerte. Ich bin eine erwachsene Frau, die alles fest im Griff hat, sagte ich mir. »Ich könnte Ihnen auf halber Strecke entgegenkommen.«
    »Ach, das ist sehr nett von Ihnen, aber das kann ich nicht annehmen.«
    »Das ist schon in Ordnung. Mein Freund arbeitet zurzeit in Bad Tölz. Ich würde die Gelegenheit nutzen und ihn besuchen.«
    »Na ja, wenn das so ist. Ja, gern.«
    »Wie lange werden Sie denn in Deutschland sein?«
    »Voraussichtlich zwei Wochen.«
    »Dann melde ich mich Mittwoch oder Donnerstag bei Ihnen. Und dann werden wir sehen.«
     
    Ein paar Tage später stand er einfach vor der Tür. Überrumpelt und einigermaßen begriffsstutzig blickte ich in diese perfekten Züge, denen die Jahre gut standen. Mein Magen zog sich zusammen und für einen Augenblick wurde mir schwindlig. Sein Blick hielt mich fest.
    »Herr Sartorius?«, eröffnete ich das Gespräch, wenig originell.
    »Entschuldigen Sie, dass ich Sie einfach so überfalle. Ich hätte auch gerne angerufen, aber der Akku von meinem
Mobile
ist leer und ich war gerade in der Nähe.«
    »Aber   … das ist   … nett   … tja, aber   … kommen Sie doch herein, bitte. Hier herrscht allerdings Chaos.«
    Er betrat die Wohnung und blieb an der Tür zum Wohnzimmerstehen. Der ganze Boden, das Sofa, fast jeder freie Fleck war mit aufgeschlagenen Musterbüchern übersät und bezeugte, dass der

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