Herbstvergessene
Auftrag »John« sich in eine Richtung auswuchs, die ich nicht vorhergesehen hatte. So hatte der gute John inzwischen dreimal seine Wünsche in Sachen Stil geändert und war mittlerweile beim Retrolook angelangt.
»Wie Sie sehen, bin ich gerade dabei, die höchstwahrscheinlich grauenerregende Wirkung dieser Tapeten durch die Kombination mit einem deutlich dezenteren Bodenbelag abzufedern. Ziemlich schwierig, wenn der Kunde am liebsten riesige graphische Muster an jeder Wand sähe.«
»Sie sind also Innenarchitektin?«
» Interior Decorator
. Hab ich in England gelernt. Raumausstatter sagt man hier.« Ich schluckte, meine Kehle war trocken und mein Gerede kam mir ziemlich gekünstelt vor.
»Das ist sicher ein sehr abwechslungsreicher Beruf. Ständig neue Umgebungen schaffen, neue Stimmungen.«
»Im Idealfall schon. Wenn der Kunde mitmacht.«
»Er macht nicht immer mit?«
Ich zuckte die Achseln und Roman Sartorius sah sich um, musterte die hintere Wand, die ziegelrot war, und das meergrüne Bild mit der Nixe, das dort hing. Er wirkte amüsiert und aus irgendeinem Grund ärgerte mich das.
»Möchten Sie was trinken?«
»Ein Glas Wasser wäre nicht schlecht.«
»Sollen Sie haben. Setzen Sie sich in der Zwischenzeit irgendwo hin.«
»Ich möchte das kreative Chaos nicht durcheinanderbringen.«
»Ich bin noch nicht zu einer befriedigenden Kombination gekommen. Im Moment ist es also eher nur Chaos und weniger kreativ.«
Ich verschwand in der Küche, froh, für einen Moment seinem Blick zu entkommen. Ich setzte Wasser auf, ließ mir Zeit, rief ins Wohnzimmer, ob er auch noch einen Kaffee wolle, undkehrte fünf Minuten später mit einem Tablett voller Wasser, Kaffee und Orangensoftkeksen zurück. Er blätterte gerade in einem der Tapetenmuster und seufzte.
»Die machen es einem aber auch nicht leicht. Ich dachte eigentlich, diese Horrorfarben hätten wir in den Siebzigern hinter uns gelassen. Orange und Grün, Braun und Lila, wer um Himmels willen zieht so etwas ernsthaft in Erwägung?«
»Der Mann heißt John Meyer. Soll ich Ihnen seine Adresse geben?«
Er lachte auf. »Ich glaube nicht, dass wir uns viel zu sagen hätten.«
Roman Sartorius saß nun also auf dem Sofa zwischen den Tapetenmustern herum und trank Kaffee und zwischendurch einen Schluck Wasser. Ich zupfte an meinem Rock und plötzlich kam mir der Gedanke, was er wohl von mir denken mochte, wie ich hier im Schneidersitz auf dem Boden saß, in diesem türkisfarbenen Mini, den Wollstrumpfhosen und dem überdimensionalen braunen Mohairpullover, den ich am liebsten dazu trug. Und was würde Wolf von dieser Situation halten? Aber schließlich war nichts dabei, sich mit jemandem zu unterhalten. Andererseits war kaum jemand, den ich kannte, so attraktiv wie Roman Sartorius. Ich straffte die Schultern und bemühte mich, zum eigentlichen Thema zurückzufinden, und das war unser Berührungspunkt – die gemeinsame Vergangenheit meiner Großmutter und seines Vaters. Deswegen war er doch sicher gekommen – oder etwa nicht?
Jedenfalls sagte ich schließlich: »Ich habe zwei Karten gefunden, eine von ihrem Vater, die andere von einer gewissen Hanna. Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Hanna? Nicht dass ich wüsste. Aber Sie müssen bedenken, dass ich damals, als er verschwand, gerade mal ein halbes Jahr alt war. Mir hat ohnehin niemand je wirklich viel erzählt.« Seine Stimme hatte einen bitteren Klang und ich betrachtete ihn, wie er so dasaß, beide Hände um die Kaffeetasse geschlungen.
»Das … äh … tut mir leid.« Ich fingerte an einem der Musterbücher herum. Am liebsten hätte ich jetzt geraucht.
Er stellte die Tasse ab. »Und sonst?«
»Was meinen Sie?«
»Bei unserem letzten Treffen sprachen Sie von einem … Manuskript. Haben Sie es inzwischen gelesen?«
Ich schüttelte nur den Kopf. Von meinen vergeblichen Suchaktionen mochte ich ihm nicht erzählen.
»Ah … na ja.«
Eine Weile lang sagte keiner ein Wort. Dann sagte er mit belegter Stimme: »Eine Sache beschäftigt mich. Aber ich weiß nicht, ob ich das fragen darf.«
Etwas überrascht hob ich den Blick: »Was kann das denn für eine Frage sein, dass ich sie möglicherweise nicht beantworten will?«
»Ich habe das Gefühl, dass es noch etwas anderes gibt, das Sie antreibt, neben der Suche nach Ihrer – wie nennen Sie es – familiären Identität?«
Ich musste ihn angesehen haben, als habe er den Nagel auf den Kopf getroffen. Zögernd begann ich zu sprechen. Sollte ich ihm
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