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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Ärztekongress in München? Um was ging’s denn da?«
    »Ach   … um   … Gefäßerkrankungen.«
    »Ah so.« Auf einmal fühlte ich mich erschöpft. Von diesem Gespräch. Von der Achterbahnfahrt meiner eigenen Gefühle. Von der Aussicht, nie wieder zu rauchen. Schließlich fragte ich: »Und wo geht’s jetzt hin? Florida?«
    »Ja, ich fliege wieder nach Miami.«
    »Da hatten Sie aber schnell Sehnsucht nach Good Old Germany.«
    »Wieso das?«
    »Na, weil Sie im Januar doch erst dort angefangen haben, oder nicht?«
    »Ach so   … ja, ja   …«
    Nach einigen Sekunden des Schweigens sagte er: »Vielleicht hatte ich nach etwas anderem Sehnsucht?« Sein Blick heftete sich auf mich und verhakte sich in meinem. Einen Moment lang war ich verwirrt, doch dann verstand ich, was er meinte, und eine heiße Welle durchfuhr mich. Ich sah, wie er in seine Hemdtasche griff und etwas herauszog, das er vor mir auf den Tisch legte. Es war eine Visitenkarte mit mehreren Nummern darauf.
    »Danke.« Ich schob die Karte zur Seite, legte die Hände vor mir auf den Tisch und betrachtete konzentriert den Ring an meinem Finger. Es war ein silberner Ring mit einem riesigen Karneol. Ich hatte ihn von Wolf bekommen.
    Nach einem Augenblick des Schweigens räusperte er sich und ich hörte ihn fragen: »Sie werden also nach Hohehorst fahren, um auf den – wie sagt man – Spuren der Vergangenheit zu wandeln?«
    »Ja, mal sehen. Allerdings« – ich deutete auf die Musterbücher im Raum – »muss ich mich vorher noch mit meinem Auftraggeber auf eines dieser grauenerregenden Muster einigen.«
    Er lächelte nicht, sondern betrachtete mich aufmerksam.
    »Wenn ich mich nicht irre, gehört das Anwesen inzwischen der Stadt Bremen.«
    »Ja. In dem Haus befindet sich jetzt ein Therapiezentrum für Drogenabhängige.«
    »Und die Akten?«
    Ich erwiderte seinen Blick ein wenig irritiert: »Akten?«
    »Ja, vom Lebensborn. Sind die auch noch dort?«
    Täuschte ich mich oder hatte seine Stimme auf einmal einen anderen Klang? Ich warf ihm einen Blick zu und sah, dass er mich gespannt betrachtete. Und auf einmal wurde mir bewusst, wie wenig ich über ihn wusste. Und das bisschen,
was
ich wusste, wusste ich von
ihm selbst
. Dieser Mann könnte mir alles erzählen, dachte ich. Vielleicht wäre es da besser, vorsichtig zu sein. Also lächelte ich ihm möglichst unverbindlich zu und antwortete: »Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Keine Ahnung, wo die sind.«
     
    Nach meinem Treffen mit Sartorius wurde ich den einen Gedanken nicht mehr los: dass jemand Mutter getötet haben könnte. Vielleicht lag es einfach daran, dass ich ihn das erste Mal laut ausgesprochen hatte und er so nicht mehr nur in mir existierte, als nebulöses Gebilde, sondern herausgetreten warund dadurch Gestalt angenommen hatte. Und dann kam der Tag, an dem ich das Gefühl hatte, jemand würde mich beobachten. Wenn ich in den Laden fuhr oder zu Johns Wohnung, meinte ich im Rückspiegel immer dieselben Autos zu sehen, mal war es ein blauer Polo, mal ein grauer Toyota. Zweimal bog ich hektisch ab, fuhr ein paar Ecken und Kurven und Einbahnstraßen und kam mir gleichzeitig lächerlich vor und wie in
Die Straßen von San Francisco
. Wahrscheinlich bildete ich mir die ganze Sache nur ein und war einfach überspannt. Was nicht zuletzt an Wolfs Aufenthalt in Tölz lag, der sich auch übers Wochenende hingezogen hatte. Er könne jetzt nicht weg hier, nicht in dieser Phase. Ich zuckte die Achseln und ärgerte mich. Diese verdammte Orgel war jahrhundertelang vor sich hin verrottet, ich verstand nicht, wieso es plötzlich so eilig war mit ihr. Statt einzulenken und ein paar liebevolle Worte loszuwerden, dachte ich nur: Also gut, wenn du partout den einsamen und beleidigten
Wolf
spielen willst, dann tu’s. Schließlich hatte ich genug eigene Pläne, die mich die nächste Zeit in Atem halten würden. Von Roman Sartorius erzählte ich ihm natürlich auch nichts.
    Ich rief den Frankfurter Rechtsanwalt an, legte mich mit seiner arroganten Sekretärin an, die dreimal behauptete, der Herr Anwalt sei in einer wichtigen Besprechung und sie könnte ihn jetzt auf
gar keinen Fall
stören. Beim vierten Mal knallte ich den Hörer auf die Basisstation und murmelte etwas von »Schnepfe«, in der Hoffnung, dass sie mich noch gehört hatte, bevor die Verbindung unterbrochen wurde.
    Zwei Tage später bekam ich den viel beschäftigen Herrn Rechtsanwalt endlich ans Telefon und zögerte nicht, ihn sofort zur Rede zu

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