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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Ironie. Etwas zu barsch antwortete ich: »Nein.«
    »So darf ich denn annehmen, dass das Kunstwerk vom Vater Ihres Kindes stammt?«
    Was ging ihn das an und warum war er gekommen? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, am liebsten hätte ich ihn hinausbefördert, aber durfte ich es wagen, ihn mit einer abweisenden Antwort zu verärgern? Noch zu deutlich war mir die Szene im Behandlungszimmer gegenwärtig. Er schien auf eine Antwort zu warten und so rang ich mir ein Nicken ab.
    »Also ja?«, fragte er und fuhr dann fort. »Ein begabter Mensch. Was ist mit ihm, wenn ich fragen darf?« Sein Blick glitt über mein Nachthemd und ich musste an mich halten, nicht zur Tür zu stürzen und fortzulaufen. Stattdessen fragte ich mit erzwungener Freundlichkeit: »Sie sind doch sicher aus einem bestimmten Grund gekommen?«
    Er fixierte mich noch immer, und ohne dass eine Veränderung in seiner Miene zu erkennen gewesen wäre, sagte er: »Ich wollte Ihnen nur mein Kompliment machen für die Organisation des heutigen Tages. Alle waren sehr zufrieden, auch die Vorstände.«
    Sein Blick kehrte zu Pauls Zeichnung zurück, und ehe ich michs versah, nahm er sie in die Hand, drehte sie um und las laut vor:
Hunderttausend Sterne sollen uns beschützen, in ewiger Liebe, Paul .
Eine Weile lang stand er einfach so da, das Blatt in der Hand, den Kopf gesenkt. Dann hob er den Blick und sagte nur: »So ist sein Name denn Paul.«

 
    Die Rückfahrt nach Süddeutschland war anstrengend, und als ich am frühen Nachmittag endlich zu Hause in der Badewanne lag, überholte ich im Geiste einen LKW nach dem anderen. Mit Genugtuung hatte ich die eingegangenen Anrufe auf dem AB abgehört. Wolf hatte fünfmal draufgesprochen, was, wie ich fand, nur recht und billig war, und ich fragte mich ein wenig bissig, wo sich seine Biene während der Anrufe bei mir aufgehalten hatte. Ich drückte die Löschtaste.
    Als ich aus der Wanne stieg, fasste ich einen Entschluss. Ich würde Sartorius anrufen und ihn unter einem Vorwand um ein weiteres Treffen bitten. Ich musste ihm in die Augen blicken, wenn ich mit ihm sprach. Ich wollte seine Reaktion auf meine Entdeckungen von Angesicht zu Angesicht sehen. Vielleicht würde mir sein Gesicht etwas verraten. Ich holte ein frisches Badetuch und wickelte mich ein, ging ins Schlafzimmer und wählte seine Handynummer. Doch es schaltete sich nur die Mobilbox ein. Enttäuscht legte ich mich aufs Bett und starrte an die Decke. Im Laufe des Nachmittags wählte ich Sartorius’ Nummer noch viele Male, doch das Telefon blieb aus und ich war allein mit meiner Unruhe und mit meinen Plänen. Ich versuchte, ein wenig zu schlafen, doch ich war und blieb aufgewühlt und kribbelig. Dann dachte ich an Wolf und litt stumm vor mich hin. An irgendeinem Punkt kochte ich mir einen Baldriantee, von dem ich wusste, dass er sowieso nicht helfen würde, und ging ins Wohnzimmer, wo ich den Fernseher einschaltete und mich durch die Programme zappte. Als ich den Tee getrunken hatte, fiel mir plötzlich der Briefkasten ein. Wie hatte ich das vergessen können! Immerhin erwarteteich mehrere Sendungen, vor allem die ersten fünfzig Seiten von Großmutters Autobiografie, die schon längst hätte ankommen müssen. Plötzlich hatte ich es sehr eilig. Ich rannte hinunter, im Treppenhaus war es kalt und das Licht war grell und ungemütlich. Ich schloss den Kasten auf, schnappte mir das Bündel aus Briefen, Gratiszeitungen und Werbewurfsendungen und sprang zurück in die Wohnung. Hastig blätterte ich die Umschläge durch, stellte dann jedoch enttäuscht fest, dass kein großer Brief dabei war. Ich knallte die Sachen auf den Tisch. Was war denn das für ein Loser-Verein? Die hatten doch inzwischen mehr als genug Zeit gehabt, mir eine Kopie zu schicken! Wütend kramte ich in meinem Notizbuch herum und fand schließlich die Nummer, die ich notiert hatte. Ein paar Minuten später wusste ich mehr: Man hatte die Seiten noch gar nicht losgeschickt, man hatte sie noch nicht einmal kopiert. Anscheinend war mein Anliegen dort komplett untergegangen. Also wiederholte ich meine Bitte, um Freundlichkeit und Geduld ringend, und legte auf.
    Wieder nahm ich die Post zur Hand und begann die Wurfsendungen auszusortieren. Kurz darauf sah ich ihn. Einen länglichen, dünnen Fensterumschlag von Herrn Rechtsanwalt Dr.   Klaus Reuther aus Frankfurt. Wenigstens etwas, dachte ich, riss den Umschlag auf und las:
     
    Sehr geehrte Frau Sternberg,
    Ihre Mutter, Frau Liliane Sternberg,

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