Herbstvergessene
Führer vertraut hatte! Eine Frau, die den Vorsatz gehabt hatte, einen reichen Mann zu heiraten. Was sie dann ja auch geschafft hatte – Gustav Benthin hatte ihr das Leben geboten, von dem sie anscheinend schon als ganz junge Frau geträumt hatte!
Ich fuhr zu schnell und hinter einer Kurve kam mir plötzlich ein Wagen entgegen, der ebenso schnell fuhr wie ich und der sich ebenfalls nicht so dicht am Rand hielt, wie man sollte. Ich machte eine hektische Lenkbewegung nach rechts, mein Herz schlug mir wie wild und meine Hände zitterten. Diese Einsamkeit hier verführte einen dazu zu glauben, man habe die Straße für sich allein.
Im Hotel lag ich noch lange wach und dachte darüber nach, wie ich jetzt weiter vorgehen könnte. Gab es denn noch etwas, das ich nicht verfolgt hatte, ein letztes loses Ende? Da war der Antwortbrief des Frankfurter Anwalts, auf den ich gespannt war und von dem ich mir endlich Klarheit erhoffte. Und dann gab es da irgendwo ein Buch von meiner Großmutter. In dem ich sicher eine Menge Antworten finden würde. Und schließlich war da Roman Sartorius. Er war
vor
mir in Hohehorst gewesen, so viel war klar. Sicher, er war mir keine Rechenschaft schuldig. Trotzdem fand ich es merkwürdig, dass er bei unserem letzten Gespräch nichts von seinem Vorhaben erwähnt hatte. Und wieso hatte er sich für meine Mutter interessiert? Warum nur diese Geheimniskrämerei, diese Verschlossenheit, was hatte er zu verlieren, wenn er mir gegenüber mit offenen Karten spielte? Flüchtig dachte ich an die abfälligen Bemerkungen, die Frau Willunat über Heinrich Sartorius gemacht hatte. Dabei war sie sicher nicht der Typ Mensch, der irgendwelche völlig haltlosen Gerüchte über andere kolportierte. Es musste etwas dran sein. Ich nahm mir fest vor herauszufinden, warum Roman Sartorius mir nicht erzählt hatte, dass auch er vorhatte, sich Hohehorst anzusehen. Bei dieser Gelegenheitkonnte ich auch versuchen, in Erfahrung zu bringen, was es mit »diesen Forschungsprojekten« auf sich hatte. Ob er gewusst hatte, in welchem Ruf sein Vater gestanden hatte?
Ich wälzte mich auf die andere Seite und beobachtete die Schatten, die die Äste der großen Eiche vor meinem Fenster in die Wände schnitten. Auf dem Korridor klapperte die Fahrstuhltür, nebenan wurde ein Schlüssel gedreht und dann war wieder Stille. Roman Sartorius. Was mochte er mir noch alles verschwiegen haben? Was wusste er, was ich nicht wusste?
Es war schon spät, vielleicht zehn, vielleicht elf Uhr, ich lag im Bett und las beim Schein meiner winzigen Nachttischlampe, als es klopfte, leise zwar, aber energisch. Überrascht starrte ich die geschlossene Tür an, in Hohehorst galten strenge Regeln, was Nachtruhe und Besuche auf den Zimmern anbelangte. Ich schlug die Decke zurück und ging zur Tür. Aus irgendeinem Grund, vielleicht wegen der Intimität der vorgerückten Stunde, erwartete ich, Hanna zu sehen. Vielleicht war sie gekommen, um mir alles zu erzählen, schoss es mir durch den Kopf und ich drückte die Klinke herunter. Doch als die Tür aufschwang, stand Sartorius vor mir, den eisblauen Blick auf mich gerichtet.
»Darf ich hereinkommen?«
Ich sah ihn überrascht an. Der Mann musste betrunken sein oder von allen guten Geistern verlassen. Oder es gab einen wirklich wichtigen Grund dafür, dass er, der Belegarzt und Leiter ad interim sich über die Regeln des Hauses hinwegsetzte. Keine Herrenbesuche auf den Zimmern, nie und niemals, aus welchem Grund auch immer. Plötzlich durchfuhr mich ein eisiger Schrecken. Paulchen, es musste etwas mit Paulchen zu tun haben. Ich trat beiseite und ließ ihn vorbei. Schon während er die Tür hinter sich schloss, stürzten die Worte aus mir heraus, angsterfüllt und hastig: »Ist was mit Paul?«
Doch er schüttelte nur leicht den Kopf, trat auf mich zu und berührte mich am Arm. Sein Atem roch nach Alkohol. »Mit Ihrem Paul ist alles in Ordnung, soweit ich es weiß.«
Wir standen uns gegenüber und ich wartete darauf, dass er mir den Grund für seinen späten Besuch nennen würde. Doch er sah sich im Zimmer um, sein Blick heftete sich an jeden einzelnen persönlichenGegenstand und blieb schließlich an der kolorierten Zeichnung hängen – die beiden Liebenden im Sternenmantel. Er trat darauf zu, in seinen Mundwinkeln zuckte es, ob amüsiert oder missbilligend, konnte ich nicht sagen.
»Oh, was für ein hübsches Bild der reinen Liebe. Sind Sie selbst die talentierte Künstlerin?«
Sein Ton triefte vor
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