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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ab, doch Frau Willunat redete einfach weiter.
    »Warum habe ich nur so ein schlechtes Namensgedächtnis? Immer schon, und mit dem Alter ist es noch schlimmer geworden.«
    »Erinnern Sie sich noch an das Kind?«
    »Von Ihrer Großmutter?« Frau Willunat lächelte bedauernd. »Ach, die vielen Kinder, die ich gesehen habe in der Zeit. Nein, daran erinnere ich mich nicht. Wissen Sie, ich war ja auch für die älteren Kinder zuständig. Und einige Zeit nachdem die Norwegerkinder kamen, bin ich dann sowieso nach Steinhöring versetzt worden.«
    »Vielleicht erinnern Sie sich, ob meine Großmutter ein oder zwei Kinder hatte?«
    Mit klopfendem Herzen wartete ich auf die Antwort. Frau Willunat runzelte die Stirn und dachte eine Weile lang nach. Dann sagte sie: »An die erste Zeit in Hohehorst erinnere ich mich sehr genau. Da gab’s nur eine Frau, die zwei Kinder hatte. Die hatte ein Verhältnis mit dem Verwalter, der mit seiner Frau und seinen zwei anderen Kindern im Pförtnerhäuschen von Hohehorst wohnte. Das fand ich dann doch ziemlich haarsträubend, bei allem Verständnis! Später wurde alles so unübersichtlich, ein Kommen und Gehen, und als dann noch die Norwegerkinder bei uns untergebracht wurden   … da hatten wir alle Hände voll zu tun.«
    Sie musste meine Enttäuschung gespürt haben, denn sie legte mir die Hand auf den Arm und tätschelte ihn.
    »Es tut mir so leid, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann. Aber all das ist schon so lange her und ich merke, wie meine Erinnerungen miteinander verschmelzen, ich kann die einzelnen Teile gar nicht mehr richtig trennen. Und ich will Ihnen auf keinen Fall etwas Falsches sagen.«
    Ich nickte, sah erst auf meine Hände und dann auf den Boden. Plötzlich sagte Frau Willunat: »Aber an eine Sache erinnere ich mich doch! An ihre Heiratspläne! Sie malte sich jede Woche eine neue Zukunft aus. Wollte unbedingt einen reichen Kerl heiraten, egal wen. ›Ach, Lieschen‹, sagte sie immer und sah mich dabei so treuherzig an, ›reich muss er sein, das ist die Hauptsache. Mit dem Rest arrangier ich mich schon.‹«
    Ich schluckte.
Das
waren also die Jugendträume meiner Großmutter gewesen! Die zu mir gesagt hatte: Wichtig im Leben ist nicht, wie
viel
man hat, sondern
was
man hat. Und sie war es doch auch gewesen, die mir immer gesagt hatte, dass es sie wirklich gibt, die ganz große Liebe.
    »Und?«
    »Wie bitte?«
    »Hat sie es denn geschafft?«
    »Was?«
    »Sich einen reichen Kerl zu angeln.«
    Ich dachte an Gustav Benthin und an das stattliche Erbe, das mir zugefallen war.
    Ich nickte. »Das kann man wohl sagen.«
    Plötzlich spürte ich ein brennendes Verlangen nach einer Zigarette. Dieses Gefühl, irgendetwas zu übersehen, etwas Wesentliches, war so übermächtig, dass ich überzeugt war, der blaue Dunst hätte den Nebel in meinem Kopf vertrieben. Frau Willunat sah versonnen vor sich hin. Sie strich sich über das kinnlange Haar, das immer noch voll war und in duftigen Wellen ihr Gesicht umrahmte. Dann sagte sie: »Auf jeden Fall war sie froh, in Hohehorst zu sein. War ja auch alles so praktisch. Sie konnte arbeiten, das Kind war versorgt, dann die hochherrschaftliche Atmosphäre, die hat ihr natürlich gutgefallen. Ja, und dann war da schließlich noch   …« Sie verstummte abrupt.
    Ich sah sie aufmerksam an und fragte: »Ja? Was war noch?«
    »Ach, ich weiß auch nicht, es ist doch alles schon so lange her.« Sie blickte auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen, und knetete ihre Fingerknöchel. Sie schien meinen Blick zu meiden. Nach einer Weile hakte ich nach: »Was war da noch, was sie in Hohehorst hielt? Bitte, erzählen Sie’s mir.«
    »Ich gehöre nicht zu den Menschen, die Tratschgeschichten über andere weitertragen.«
    »Den Eindruck machen Sie auch nicht, das kann ich Ihnen versichern. Aber bitte, bedenken Sie, dass ich hergekommen bin, um alles über meine Oma zu erfahren. Jedes Detail ist wichtig für mich.«
    Frau Willunat sah mich zweifelnd an. Dann sagte sie ausweichend: »Ich bin doch Ende 44 nach Steinhöring gegangen. Ich weiß also gar nicht mehr, wie’s weitergegangen ist. Ob.«
    » Was
ist weitergegangen?«
    »Ja, also, das war sicher nur Gerede.«
    »Was wurde denn geredet?«
    Frau Willunat blieb mit dem Blick im Raum hängen. »Na ja, wir hatten da so einen Frauenarzt, der die Mütter betreute   …«
    »Und was hatte dieser Mann mit meiner Großmutter zu tun?«
    »Jemand erzählte mir mal   … war’s Olga? Ich weiß nicht mehr   … dass

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