Herbstwald
wollen, desto mehr müssen Sie leider dafür bezahlen. In der 10. und 11. Etage gibt es nur Premiumzimmer. Die beste Aussicht hätten Sie vermutlich von einer der Suiten im 35. Stock.«
»Und was ist dazwischen?«
»Das gehört nicht zum Hotel. Vielleicht haben Sie dort eine Chance.«
Sie sagte etwas auf Japanisch zu dem Mann, der offensichtlich kein Deutsch verstand.
»Dürfen wir einen kurzen Blick von Ihrem Zimmer auf die Stadt werfen?«, fragte sie schließlich.
»Einen kleinen Moment bitte.« Davídsson hielt die Karte vor das kontaktlose Lesegerät und die Tür öffnete sich.
Drinnen sammelte er schnell die Akte zusammen, die er über der ganzen unbenutzten Seite des Doppelbettes ausgebreitet hatte und steckte sie in die Schreibtischschublade, bevor er die Zimmertür wieder öffnete und den Weg freigab.
»Was ist für die Japaner so faszinierend an dieser Stadt, dass Sie sogar eine Reportage darüber drehen wollen?«
Sie standen zu dritt auf dem Balkon. Es hatte über Nacht aufgeklart. Nur ein paar Wolkenfetzen waren übrig geblieben, sonst war der Himmel hellblau.
»Eigentlich gibt es sehr viele Verbindungen zwischen Japan und Augsburg. Nehmen Sie zum Beispiel den Wittelsbacher Park, in dem 1957 ein japanischer Steingarten angelegt wurde. Die bis zu zwei Meter hohen Felsblöcke wurden damals vom japanischen Fluss Inagawa nach Augsburg transportiert. In den japanischen Städten Amagasaki und Nagahama wurden damals Dieselmotoren produziert. Der Hain wurde vom damaligen Chef der Yanmar-Diesel-Werke gestiftet. Herr Magokichi Yamaoka setzte sich außerdem auch dafür ein, dass die beiden Städte 1959 zu Partnerstädten Augsburgs wurden. Das waren die ersten deutsch-japanischen Städtepartnerschaften überhaupt.«
»Augsburg, die Dieselstadt«, sagte Davídsson, der gelesen hatte, dass Rudolf Diesel seine Entwicklungen ab 1893 von der Maschinenfabrik Augsburg aus betrieb, aus der 1906 die Firma MAN wurde. Er bereute mittlerweile nicht mehr, dass er die Fernsehleute in sein Hotelzimmer gelassen hatte, obwohl er am Anfang gezögert hatte. Jetzt stellte sich das hier als äußerst interessant für ihn heraus.
»Ist es möglich, dass wir von Ihrem Hotelzimmer aus drehen? Sie würden von uns auch eine Entschädigung bekommen.«
Er lächelte. »Wann wollen Sie denn drehen?«
Sie besprach sich kurz mit ihrem Kollegen, bevor sie antwortete. »Heute Abend?«
Davídsson ging im Kopf die Termine durch, die es an diesem Tag gab. »Wenn nichts dazwischenkommt, wäre ich ab fünf wieder hier.«
»Gut. Wir wollen sowieso ein Abendpanorama drehen. Ich gebe Ihnen meine Karte, falls Sie den Termin nicht halten können.«
Ólafur Davídsson saß einem Mann gegenüber, der keinen Hehl daraus machte, dass er sich für den Besten hielt. Das graue schulterlange Haar hing über seinem bulligen Kopf. Der hohe Stirnansatz und die kleinen ausdruckslosen Augen gehörten zu einem massigen Körper, dessen Alter kaum zu bestimmen war.
Der Kriminalanalyst saß im Büro des Bereichsleiters, der sich bei der Regierung von Schwaben um das Soziale kümmerte.
Das Büro war im dritten Stock eines funktionalen Gebäudes mit lindgrüner Fassade. Unter ihnen verliefen gleich zwei Straßen in dieselbe Richtung, aber auf unterschiedlichen Höhen. Von dieser Perspektive wirkte das wie ein mittelalterlicher Graben, der das Gebäude vor den Menschen schützen sollte.
Davídsson hatte tatsächlich zwei Runden um den Komplex drehen müssen, bis er die Einfahrt in den Innenhof gefunden hatte, in dem er jetzt parkte. Das hatte dazu geführt, dass der Bereichsleiter auf ihn warten musste. Das japanische Filmteam und die Parkplatzsuche waren nicht eingeplant gewesen, als er den Termin vereinbart hatte.
Der Mann, Christoph Avkin-von Buchhaecker, betrachtete die Aktennotiz auf seinem Schreibtisch, als sei sie ein Kunstwerk, dessen Wert er nun beziffern musste.
»Wer verbirgt sich hinter diesem Symbol?«, fragte Davídsson nun bereits zum zweiten Mal.
Der Bereichsleiter spielte mit einer Haarsträhne, die er mit seinen Fingern hinter das Ohr klemmte, nur um sie sofort wieder von dort auf die Stirn zu legen – ein einstudierter Bewegungsablauf, den er ständig wiederholte, seitdem Davídsson ihm gegenübersaß.
»Ich weiß ja nicht, wie das in Ihrer Behörde gehandhabt wird, aber in den sozialen Sicherungssystemen dieses Landes steht das Kreuz normalerweise für den Behördenleiter.« Er nahm das Papier mit der Telefonnotiz und fächelte sich
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